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Tag 13 Salzburg – Triest: Einfach nauf



Montag, 12.07.21

Stall – Hugo Gerbers Hütte

1750 hm rauf, 150 runter, 12 km. Gehzeit 6,5 Std.


So. Wäre das auch abgehakt. Mal locker an einem Tag  1.750 Hm den Berg rauf laufen. Nach „einfach nüber“ heute die neue Folge „Einfach nauf.“ Locker, leicht.


Streicht locker… Aber: besser als gedacht. Geholfen hat, dass es ein echter Traumtag war, keinerlei Regen oder Gewitter im Nacken, wir wussten, wir können uns Zeit lassen, Pausen machen, den Tag draußen genießen. Wir bekommen tolles Frühstück in der Dorfschenke, lernen Carmen aus Köln kennen, Nr. 13. Sie erzählt, wir sind die ERSTEN die sie trifft, sie war einen Tag vor uns und ständig allein in allen Hütten. Jetzt hat sie hier einen Pausentag in Stall eingelegt, geht aber direkt zur Feldner Hütte. Somit ist sie wieder vor uns. Wir gehen ja „ordnungsgemäß“ heute zur Hugo Gerber Hütte, werden aber den irre herausfordernden Tag zumindest um die fast 2 Stunden Tal-Hatscher von Stall nach Lamnitz abkürzen.


Ob sie auch ein rotes Bändchen am Rucksack trägt, fragen wir sie begeistert? „Nein, also das ist doch wirklich albern.“ sagt sie. Als wir uns später zusammenpacken, Mira die Teetassen spülend von unseren Vietnam-Tee-Resten befreit meint sie „Unsere negative Attributionsliste ist langsam ganzschön lang. Komisch. Verrückt. Jetzt auch noch albern?“ „Albern ist wirklich eine Frechheit“, bestätige ich. Wir? Ich erinnere sie auch die anderen Dinge auf ihre „Attributions-Liste“ zu packen. Z.B. die strahlende Verabschiedung von Gerhard und seiner Frau „Ihr seid toll! Wegen Gästen wie euch macht man das so gern! Habt viele schöne Momente auf eurer weiteren Tour und viele lustige Hüttenabende!“  Oder auch das Kompliment vom Wirt gestern. Wie gut wir aussehen. Aus der Ferne… Andererseits: wir sind heute morgen schon verlassen worden! Von den beiden Jungs. Einfach so! Eine 45 Sekunden Sprachnachricht, sie gehen jetzt direkt zur Feldnerhütte, das Wetter soll ja die nächsten Tage schlechter werden, das ist ihnen zu doof. Meine ausgeliehene Kniebandage würden sie da hinterlegen, wir sind dann ja einen Tag später dort. Ja so ist das mit den jungen Leuten… Einfach weg… Wir vermuten, der Fussball EM Sieg von Davids Wahlheimat Italien gestern hat etwas damit zu tun, dass sie sich den schweren Tag heute nicht antun wollen. Irgendwie hatten sie ja am Nachmittag schon sehr viele Weißbiere.


Der Bus geht um 8:40 um kurz nach 9 stehen wir am „zur Hugo-Gerbers-Hütte“-Schild in Lamnitz.



Die ersten 550 Höhenmeter sind steil durch Wald und über Wiese. Aber um halb 10 bereits geschafft. Wir machen die erste Pause und rechnen uns vor, dass es von hier aus nur noch so weit ist wie von Bucheben zum Schutzhaus Neubau, und das fanden wir ja beide so einen entspannten Tag! Das wird ganz einfach werden! Wir haben schöne Blicke zurück bis Stall, es ist warm aber angenehm, bald geht es ein bisschen auf der Forststrasse, die jedoch bald durch den Wald abkürzt werden kann. Und damit wird es wieder steil, steil, steil. Für alle die hinter mir gehen: ab so ca. Höhe 1500 würde ich auf der Forststrasse bleiben, hier kommen jetzt ein paar sehr kaputte Abschnitte. Es sind Holzfällarbeiten, die Wege sind abenteuerlich zugewachsen, alle paar Meter liegen riesige Bäume am Weg. Man ist permanent am irgendwo drüber oder drunter klettern, Rucksack runter und wieder drauf oder muss weit außen rum. Schneller ist man da nicht. Besser wird es ab dem Abstecher, an dem zum ersten mal auch wieder ein offizielles gelbes „Gippersee / Gerbershütte“-Schild steht, ab da kann man wieder bedenkenlos die Waldabkürzungen nehmen.

Es ist doch ganz schön anstrengend. Hinter einer Kurve sitzt Mira, macht Pause, isst was. „Wie kannst du jetzt was essen?“ frag ich entgeistert. Sie sitzt schon 10 Minuten, meint, wenn man erstmal ein bisschen runter fährt, dann kommt der Hunger. Kurz drauf springt sie auf „ es ist kalt, ich friere total, muss weiter.“ Es hat ungefähr 30 Grad? Was stimmt mit ihr nicht? 5 Minuten später esse ich mein gesamtes für den Gipper-See eingeplantes Picknick auf, plus die letzte Packung Notfall-Manner. Ich habe jetzt nichts mehr zum Essen. Leben am Limit… Kurz drauf fange ich an zu frieren… Ich muss auch weiter. Wir sind echt wie Zwillinge, sie ist mir nur immer eine Viertelstunde mit allem voraus.


An der privaten Lorenzalm werkelt der Bauer grad draußen rum. „Darf ich Wasser auffüllen?“ frag ich und deute auf den Brunnen. „Freilig, dafür steht er doch da!“ Ich fülle meine Flasche, trinke,  setz mich an den Brunnenrand, schnaufe aus. Er kommt kurz drauf mit einer Flasche Hollersirup. „Da tu dir noch was Süßes dazu.“ Ich trinke normal nur Wasser tagsüber, dieses Schorle und Sirup-Getrinke hab ich mir abgewöhnt. Habt ihr mal geguckt, was so eine Hollerschorle Kalorien hat? 3 davon sind ne Pizza! Das kann zumindest ich am leichtesten weglassen, ich esse eh so unglaublich viel auf dieser Tour. Aber das ist jetzt wieder so eine Konsequenz-um-jeden-Preis?-Situation. Er schüttet mir was in meine Flasche. Und freut sich. (Und ich werde mich später auch noch SEHR darüber freuen) Wie weit es noch zum Gippersee ist? Ich will da baden. Er lacht laut. „Der hat 9 Grad!“ NEUN?? Oh. Das ist wenig. „In einer halben Stunde bist du da.“ Ich mach mich weiter. Der Weg wird immer schöner, viele Alpenrosen blühen überall. Es ist so grün und lieblich, viel Wasser strömt in kleinen Bächen und Wasserfällen über die Wege. Es gibt ja unter Sportartikelfachverkäufern immer die Diskussion ob man feste, dichte Schuhe, oder besser leichte auf so eine Tour nehmen soll. Also, für DIESE Tour zu DIESER Jahreszeit bin ich sehr dankbar um meine dichten Schuhe. Es geht durch so viele Flüsse und Bächlein, oft sind die Wege mit Schmelzwasser voll. Die Füße bleiben trocken.


So auch beim letzten Übergang zum Gippersee, wo die Brücke so aussieht, dass ICH da jetzt nicht mit Rucksack drüber balanciere… Auch nicht ohne….Sondern doch wieder einen Weg durch den Bach suche.



Mira liegt schon da, da noch zwei weitere Leute auf der Wiese liegen, lassen wir ausnahmsweise den Bikini an. Ihrer ist nass! Warst du da etwa wirklich drin? Der hat nur 9 Grad!! „9? Das geht ja, die beiden da drüben haben gesagt es hätte nur 8.“ ALLE waren drin. Im 8 (oder 9) Grad kalten Wasser!! Na gut. Dann ich halt auch. Es ist SAUSAUSAUSAUKalt. Es wird gleich tief, man ist also schnell drin. Das unvorteilhafteste Foto meines Lebens entsteht in diesem Moment. Danke an die Topfotografin am Ufer.

Aber wenn man rauskommt, ist es so herrlich, die Sonne scheint, man wärmt von innen wieder auf, Tiefenentspannung stellt sich ein, wir sind im „alle-Zeit-der-Welt“-Gefühl. „Müssten wir uns nicht eincremen, hier so weit oben?“ murmel ich. „Nein, wir tanken heute Vitamin D“ kommt es von rechts neben mir. Eine ferne Erinnerung taucht in mir auf, irgendwas mit einem Bergsee und einem roten Bauch. Ein schwarzer Hund kam auch darin vor. Dann döse ich weg.


Als wir uns um Viertel nach 3 langsam losmachen, haben wir uns irgendwie eingeredet, es seien jetzt noch 1,5 Stunden. Leicht. Wir steigen zu einer Jagdhütte auf – vermutlich die vom Wirt aus Stall – da ist’s mal mit der Orientierung kurz schwierig, nichts ist markiert. Wohin? Ich laufe mit den GPS-Tracks über die Wiese, exakt auf den Koordinaten. Nach ca. 300 Meter stehen wir genau vor der  nächsten Markierung. Ah, da gehts weiter. Das ist schon sehr genial.


Jetzt wird es nochmal steil, das wissen wir. Wie immer gucken wir in die steil aufragenden Wände vor uns und suchen uns die „niedrigste“ Stelle aus, reden uns ein, bestimmt geht es da lang. Wie immer ist das falsch. Es zieht sich, aber wenn man oben ist hat man es geschafft. Denken wir. Endlich oben!! Das Klingentörl ist erreicht mit gigantischem Blick! Dann das Schild: „Hugo Gerber Hütte 1 1/4 Stunde. Neiiiiiiiiiiiin! Stimmt. Es waren 2,5 Stunden vom See, jetzt fällt es mir wieder ein. Was Schilder plötzlich für eine Macht über dein Leben, bzw. Deine Stimmung haben…


Jetzt gilt es aufzupassen, langsam gehen, genießen, nicht „ankommen“ wollen, weil eigentlich ist das jetzt die schönste Stunde des Tages. Das Licht ist milchig weich, aber klar, der Weg ein sanfter, ungefährlicher Gradweg, weiter Blick in alle Richtungen, grün. Aber eben noch länger als gedacht. Ich bin froh, noch etwas Zuckerwasser von der Alm in meiner Flasche zu haben. Für die letzte Stunde Energie. Um 17:30 komme ich an der traumhaft gelegenen Hütte an, Mira sitzt schon mit Radler in der Abendsonne. Es gibt kein Wasser, nur eine Quelle hinterm Haus, zwei Männer stehen halbnackt davor und waschen sich da gerade.


Eine Komposttoilette ist im Haus. Winzige Stube, Küche, kleine Lager. Aber alles ist entzückend. Wir trinken ein Radler, genießen die Wärme des Abends. Das Beste: Um 18 Uhr gibts essen. Also gleich! Wo keine Dusche und kein Waschraum fällt der „Stress“ schon mal weg, sich noch schnell ne Duschmarke besorgen und sich reinigen zu wollen. Wir „müssen“ nur Radler trinken und aufs Essen warten… Wir sind die Stars der Hütte – niemand ist an diesem Tag den Weg von GANZ unten gegangen (Es waren 1.750 Hm, erwähnte ich das schon??) „Und da seids ihr jetzt schon da?“ fragt einer der beiden Wirte. „Und wie fit ihr dabei noch ausschauts! Die wenigen die das machen kommen hier meist fix und alle gegen 21 Uhr an…“ Als ich die Tracking-App ausschalten will, der Schock: 1.737 Meter? „Mira, wir müssen noch 13 Meter irgendwo hoch, sonst haben wir keine 1750 hm!“ „Ich geh sicher nirgends mehr hoch“ sagt sie. Ich drücke seufzend „Tour beenden“. Zack! Der Höhenmeterzähler springt auf 1.748 Meter. Vor dem Haus ist ein kleiner Hügel mit einem Kreuz drauf. Ca. 2 Meter. ICH gehe da später noch hoch. Aber erst ESSEN.


Es gibt wirklich pünktlich um 18 Uhr Essen, ein Traum für unsere ausgehungerten Mägen. Der Mann schickt eine SMS, er habe in einem Forum gelesen, es gäbe hier zwar kein Wasser aber Netz. Warum ich mich nicht melde? Ich schreibe zurück „Essen“. Er versteht sofort und wartet geduldig.


Jeder bekommt einen Teller, „Den behaltet ihr bitte, sonst müssen wir so viel abspülen.“ Es gibt die großartigste Tomatensuppe meines Lebens, mit knusprigen Croutons. Danach fein marinierten Spitzkohlsalat (Wir erinnern uns kurz, Spaghetti Bolognese war am Fraganter „zu kompliziert“ hier gibt es Spitzkohlsalat!!) Dann Chilli con Carne mit Safran-Reis (!) oder Bayrisch Kraut für die Vegetarier. Die 3 großen Töpfe stehen in der Stube, jeder kann sich noch nehmen. Geborgenheit in Töpfen, Liebe zum Löffeln. Als Nachtisch nicht etwa Kuchenreste sondern Obstsalat mit warmer Vanillesoße. Mir steigen die Tränen in die Augen, es ist alles so perfekt schön. Und wir haben heut ECHT was geschafft! Schon wieder!


Wir sitzen mit einer weiteren Katharina am Tisch und ihrem Bruder. Sie sind letztes Jahr den ersten Teil gelaufen und wollen jetzt bis Tolmin „Ich hab vorhin gesehen, wir haben die gleichen Bergschuhe!“ sagt sie zu mir, „wir müssen morgen aufpassen.“ Gleicher Name, gleiche Schuhe. Wir haben auch noch dieselbe Größe. Na wenigstens drückt nix, wenn wir sie doch verwechseln. Sie wird ihre Einlegsohlen raus tun und oben drauf legen, ich meine gebrauchten Socken. Wir hoffen, das ist jeweils abschreckend genug für den anderen, auch frühmorgens, sich nicht zu vergreifen… Dann gucken wir die Fotos des heutigen Tages an, eines am See ist schon sehr ungünstig getroffen… vorsichtig formuliert. Mira kann nicht aufhören zu lachen. „Du siehst aus wie ein See-Ungeheuer!“ gluckst sie. „Ach was, Ungeheuer klingt viel zu freundlich für das da, wie ein Monster siehst du aus!“ sie kriegt sich nicht mehr ein….“Das See-Monster vom Gippersee!“ sie startet den nächsten Lachanfall. Höhenkoller, eindeutig.. „Das wird deine Leser SEHR interessieren,“ prustet sie. „Nein, tut es nicht“ sage ich und nehme ihr mein Handy weg. (Meine Gegenlachanfallattacke wird morgen kommen…)


„Ich habe keinerlei Vorräte mehr“ jammere ich später zu Gunnar, einem der beiden „Diese-Woche-dran-Wirte“ Es ist jede Woche ein neuer Wirt auf der Hütte. Er führt mich in seine Schatzkammer, „schauen wir mal, was wir da für dich finden!“ Es steht ein viertelteter Schoko-Guglhupf da. „Ein Stück Kuchen wäre noch hier, magst du das morgen mitnehmen?“ DAS ist ein Stück Kuchen?? Meine Augen leuchten. Ja will ich. Erwähnte ich schon, wie toll hier alles ist? Er lässt in hier in der Schatzkammer stehen, ich soll halt morgen dran denken.


Auch Mira ist schockverliebt. Sie ist so jemand mit extra viel Sinn für Schönes. „Das ist so zauberhaft was sie hieraus machen! Alles ist mit Liebe gemacht, alles! Guck der Holzofen, guck die Stube usw. Sie haben hier NICHTS, keine Materialseilbahn, nicht mal Wasser, das Fraganter Haus halt ALLES, sogar mit dem Auto können sie hochfahren und was machen sie draus? NICHTS!!“ Kurz mache ich mir Sorgen, ob sie ein Fraganterhaus-Trauma hat, der Therapeut müsste einen Tag hinter uns sein, sollen wir auf ihn warten? Aber das tolle an ihr ist, sie schwenkt sofort weg von dieser eher seltsamen Hüttenerfahrung, hin zu wie schön HIER eben alles ist. Und es stimmt nicht, dass sie hier nichts haben: Es gibt Schokolade, Notfall-Mannerschnitten und ein kleines bisschen Handynetz vorm Haus. Wer braucht da bitte fließend WASSER?


Am Nebentisch sitzt eine Berliner Familie, sie machen Urlaub nähe Hermagor am Pressegger See und sind mit ihren beiden kleinen Jungs für eine Hütteübernachtung hier hoch. Die Kinder quengeln, sie wollen noch Kuchen. „Ihr hattet schon Kuchen!“ Sagt der Papa. „Biiiiiiiitttttteeeeeeee! Wir müssen noch Kuchen essen!!“ quengelt der Kleinere. Ich fühle mich seelenverwandt. Der Papa stimmt seufzend zu. Gunnar zwinkert in meine Richtung und sagt zu den Kindern „Kuchen ist leider aus.“ Die Gesichter der Kinder entgleiten. Grad den Papa kunstvoll überredet und jetzt gibt es trotzdem nix? In mir tobt ein Kampf. Eine klassische Dilemma Frage. Was tun? ICH werde morgen unterwegs auch sehr hungrig sein! Ich bin viel größer als die beiden zusammen. Und sie HATTEN heute Abend schon Kuchen, ich ja nicht… Aber die beiden sind so traurig… Bei Dilemma Fragen empfiehlt sich ein Blick in die alten Schriften. Zu den griechischen Philosophen, zu Konfuzius oder gleich in die Bibel. Laut dieser ist der Fall eindeutig: Sein Brot soll man brechen. Nicht seinen Kuchen. Und zwar mit BEDÜRFTIGEN. Diese Berliner Wohlstands-Fratzen sehen nun wirklich nicht bedürftig aus! Moralisch bin ich auf der sicheren Seite, wenn ich nun schweige. Nach einem kurzen trotzigen Moment gebe ich mir einen Ruck, Gunnar steht grad eh vor mir. „Dann gib ihnen halt die Hälfte!“, sag ich. Am Nebentisch jubiliert es, als plötzlich ganz unerwartet doch noch zwei kleine Stück Kuchen vor ihnen auftauchen. Und ich hab die Gewissheit: Das mit dem „später mal in den Himmel kommen“ ist wohl seit spätestens heute eingetütet… Auch ein gutes Gefühl 😉


Mira verschwindet um 20 Uhr in ihren Schlafsack, ich halte tatsächlich bis halb 10 Uhr durch. Und werde so so so gut schlafen! Hier ist alles schön. Und ich bin heute 1.750 hm nach oben gewandert. 🙂


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