Donnerstag, 17.08.23 // Rest von Etappe 21
Rifugio Coda - Trovinasse, Unterkunft Agriturismo Belvedere
Km 9,5, Hm rauf 215, Hm runter 1.050
unterwegs von 08:00 - 13:30 Uhr, reine Gehzeit 4,5h
Der Tag hat gestern Abend schon wieder versucht „es gutzumachen“, dass er mich so geärgert hat. Erst gab es ein ja dieses unglaublich tolle Abendessen (hausgemachte Ravioli mit Spinat/Ricotta gefüllt in Buttersoße, Hähnchenschnitzel mit Fenchelgemüse und Creme Caramel, erwähnte ich das schon?). Dann kam der Wettergott aus seinem ersten freien Tag seit drei Wochen zurück, hat seine Vertretung geschimpft, dass sie sich zwar an die Haupt-Anweisung gehalten hätte, dass ich nicht nass werden darf, die Umsetzung im Gesamten aber doch eher mangelhaft war…Es ist so schwer, gutes Personal zu finden. Er hat schnell den Nebel entfernt, der Himmel riß auf und wir konnten plötzlich sehen, wie schön die Hütte liegt.
Wir stiegen noch auf den 50 Hm Mini-Hügel hinterm Haus, von dem man einen so schönen Blick hat, noch einmal auch bis Monte Rosa. Ich hatte wieder das Gefühl zu kollabieren und diese Ministeigung einfach nicht gehen zu können.
Die Hütte liegt auf einem Höhenrücken mit Blick in fast alle Richtungen, steigt man auf den Mini-Hügel Blick in ALLE Richtungen.
Weit hinten im Bergpanorama lässt es der Wettergott nun regnen, und mit den Wolken davor wurde alles in ein unglaubliches Licht getaucht. Das schon wieder nicht ansatzweise so intensiv auf den Fotos rüberkommt, wie es in echt war.
Und sogar das Monte Rosa Massiv zeigte sich abends - die schneebedeckten Gipfel rechts im Bild.
Gut geschlafen haben wir auch und heute steht die zweite halbe Etappe an, 4 Stunden Gehzeit (für die wir schon wieder 4,5h brauchen werden…) Wir gehen trotzdem um acht Uhr los, „ich möchte so gerne mal wieder früh ankommen und in einem Liegestuhl liegen.“ sag ich zum Mann. Unsere heutige Unterkunft, ein Agriturismo, sah so aus, als könne man da einfach mal wieder einen Nachmittag chillen. OHNE irgendetwas zu tun oder anschauen zu müssen.
Der Morgen kühl, klar, schön. Ich ziehe zum ersten Mal eine Mütze auf.
Der Rest von Etappe 21 hat wenige Höhenmeter, die wenigen sind supersteil aber gleich am Anfang weg. Gott, was hätte ich gestern geschimpft, wenn das noch draufgekommen wäre. Es gibt ja zwei Wege, der schönere über den Grat sei teilweise ausgesetzt, seilversichert und bei Nässe und schwerem Gepäck nicht so leicht zu gehen, sagt Rother. Der andere sei ein Wiesen-Weg mit weniger Aussicht. Der Mann hat ja manchmal ein bisschen Respekt vor „ausgesetzt“ und nach dem erschöpfenden gestrigen Tag braucht’s doch eigentlich keine Kletter-Experimente. Aber die Wirtin sagt klar, gehts nicht den Wiesenweg, es hat heute Nacht so stark geregnet, das wird so viel schwerer zu gehen sein, rutschig, matschig, der andere Weg ist kein Problem, das ist perfekt abgesichert, ihr schafft das locker. Und genau so empfinden wir es dann auch beide, auch wenn die Seilversicherungen auf den Bildern “schlimmer“ wirken als es war.
Ansonsten ist es ein wunderschöner Teil, meistens auf einem Höhenrücken entlang, ein unglaubliches Panorama nach allen Seiten. Bis auf die kleinen Kletterpassagen leichte schöne Wege.
Der Mann überredet mich zu einen Ausflug auf einen irrelevanten Nebengipfel. Die sind ja normal tabu - ich muss meine Kräfte schonen - aber gnädig nicke ich die 10 Hm zusätzlich ab.
(Bisher unveröffentlichtes und nie gesehenes Material: Alpenbloggerin auf einem irrelevanten Nebengipfel…)
Von da oben sieht man unseren weiteren Weg. Es wird auf leichten Forststrassen und Wiesenwegen vorbei an zwei bewirtschafteten Almen weitergehen. Der Mann will wie immer keine Fotos von sich in diesem Internet, aber ich habe euch Teile seines Knies aufs Bild gemogelt. Damit ihr auch ein bisschen was von ihm habt…
Auf der ersten Alm gab es Nachwuchs. Die Kälbchen starren uns verwundert nach..
und die Ziegen kommen zum kuscheln.
Die andern chillen lässig auf den Felsen.
Konditionell geht es immer noch nicht leicht, die Beine sind einfach schwer und laufen nicht von selbst. Ich ziehe heute noch mehr meinen Hut vor allen, die das vom Kloster Oropa aus durchgegangen sind. Die Bonner Damen wollten ja noch neue Bergschuhe kaufen, die 2h bis Rif. Rosazza gehen und heute dann von dort durchlaufen. Auch das erscheint mir - so wie ich grad drauf bin - irre viel. Als wichtigstes Argument die Etappe zu teilen möchte ich aber nennen: Dieser Teil des Weges ist so wunderschön, wir hatten endlich mal morgens Blick auf den Monte Rosa OHNE Wolken, ich hätte das alles kaum genießen können, wäre das Stunde 6,7 und 8 gewesen. Da will man dann doch irgendwann ankommen.
Als das Schild kommt „Agriturismo Belvedere 1,5h“ droht die Stimmung doch kurz zu kippen. Ich dachte, wir sind gleich da? An alle Nachwanderer: Von da aus ist es noch ne knappe Stunde, wir brauchen trotzdem 1,5 h weil ich jetzt dann doch eine kleine Pause machen mag. Der Mann findet….
EINE BADESTELLE!
50% von uns springen rein. Sich anschließend auf dem Felsen trocknen lassen, danach ist alles leicht. In mir hat sich schon während dem heutigen Wandern eine Idee ihren Weg gebannt, ich bin so erschöpft, selbst dieser heute leichte Tag ging nicht „leicht.“ Der letzte Pausentag ist 12 Tage her…Der Mann reist eh morgen ab und steigt nur die 2,5 h zur Bushaltestelle ab. Ich könnte entweder in einer sehr kurzen Etappe mitgehen und dann unten in einem ausgestorbenen Taldorf an der Autobahn einen Nachmittag verbringen, wie geplant mit absteigen um gleich wieder 1200 hm zum nächsten Gipfel aufzusteigen oder…
Als wir hier ankommen, ist es im selben Moment entschieden. Hier lege ich morgen einen Pausentag ein. Hier gibt es nichts zu tun außer in einem Liegestuhl zu liegen. Guckt mal wie hübsch die sind. Die passen PERFEKT zu meinem türkisen Bergkleid, sie schreien geradezu nach mir… Das ist ein klares ZEICHEN.
Es ist auch der perfekte Ort für den letzten Nachmittag / Abend mit dem Mann. Der findet die Idee auch gut „Auf München - Venedig war es genauso, du hast einen Pausentag auf der Proseccofarm gemacht und ich bin zur Bushaltestelle in Tarzo gelaufen“. Er findet auch gut, dass es jetzt wirklich erst halb 2 Uhr nachmittags ist, ich dann also eigentlich 1,5 Tage Pause habe. Und ja, besser einen Tag komplett frei als die nächste Etappe wieder auf 2 halbe zu teilen. Irgendwie „bringt“ mir das nichts, ich brauche mal kompletten Stillstand im Muskelsystem. Dann schau ich übermorgen wie es auf der dann langen Etappe geht und dann kann ich immer noch entscheiden, in einem der nächsten Orte zu beenden, noch ein bisschen weiterzulaufen oder auch ganz bis Susa. Jetzt bin ich wieder im Flow, das fühlt sich sehr sehr stimmig an. Vorgebucht habe ich ab morgen eh nichts mehr, da muss also auch nichts storniert werden. Da kann ich mich morgen dann in Ruhe sortieren, planen und die nächsten Unterkünfte antelefonieren.
Wir liegen draußen im Liegestuhl, hören plötzlich drinnen eine Sektflasche ploppen. „Was meinst, ein kleiner Aperetivo?“ fragt der Mann. Ich bin schnell überredet. Das ist mal alles wirklich sehr, sehr entspannt hier…
Mein Tageshighlight ist dann aber wohl, als ich nach über drei (!!) Wochen zum ersten Mal frage, ob ich Wäsche waschen kann, so richtig in einer Maschine, gerade wenn ich morgen den ganzen Tag hier bin, da trocknet das ja auch komplett. „Ja klar, gib her, 30 oder 40 Grad?“ Und als ich diese Abends in Empfang nehme, sie aufhänge, damit sie in der Abendsonne schon vortrocknet, kann ich meine Nase nicht aus der Wäsche nehmen. Sie hat SOOO VIEL Waschpulver verwendet (den Mann würde ich schimpfen, wenn er das macht) aber jetzt hier gerade ist das so wunderbar. Ich muss ständig dran riechen. Ich werde mir als Mitbringsel von dieser Tour 5 Liter italienisches Waschpulver mitnehmen. Oder 10. Das ist der Wahnsinn dieser Duft.
Zweites Highlight ist dann das Abendessen. „Wir müssen auf Eva warten“ verkündet die Chefin, die sind zu zweit, kommen später und sind Vegetarier, erklärt sie. Eine eindeutige Beschreibung, das sind meine zwei Bonner Damen. Sie kommen um halb 7, fix und alle. „Gott war das lang, wir sind um 8 Uhr morgens los, war das ANSTRENGEND! Es hat einfach kein Ende genommen. Als da dieses Schild kam noch 1,5 h ich dachte ich flipp aus.“
Eine gute Rückmeldung, wie es mir gegangen wäre. Wir haben ja doch in etwa dasselbe Tempo. Und sie haben noch einen Berliner Vegetarier im Schlepptau. Die Chefin hatte seinen Namen falsch notiert und ich dachte schon, die Lehrer kommen. Das wäre ja auch lustig gewesen, so nach 2 Wochen. 3 Vegetarier an einem Abend, das fand sie seltsam, obwohl ich sagen würde, dass mindestens ein Drittel der Menschen, die ich unterwegs treffe, vegetarisch leben. Das Primi, das Pastagericht ist inzwischen fast immer überall vegetarisch. So können es alle essen.
Ein Münchner Ehepaar ist auch noch da, die haben wir gestern auf der Hütte schon getroffen. Die waren das mit der ploppenden Sektflasche, da hatten sie grad 2 Aperol Spritz bestellt, eine Idee, die wir ja dann schnell aufgegriffen haben. Die wirken sehr fröhlich und offen und sind auch ein bisschen länger auf dem GTA unterwegs, sie schauen mal, vielleicht sogar 3 Wochen. Leider verliere ich sie mit meinem Pausentag morgen gleich wieder.
Simona, die Chefin, legt uns beim Abendessen SOWAS von rein… Sie tischt Graupensalat mit Tomaten und Rindfleischsalat mit Kartoffeln auf. Die Portionen sind riesig, ja das geht schon als „Primi“ als Vorspeise durch, mal was anderes anstelle der meist üblichen Pasta. Megalecker. Dann ein Zwischen-Häppchen, Mozzarella mit Petersilienpesto, dann kommt italienische hausgemachte Wurst, Salsicca mit Kartoffeln, köstlich, ganz klar das Hauptgericht. Dann tischt sie Kastanien in Rotweinsoße mit Butter auf, das sei die Spezialität hier, die Bäume sehen wir (bzw. die anderen) morgen beim Runterlaufen in den Ort. Klar, mal zum probieren, wie nett. Wir platzen gleich, das macht megasatt aber es ist SO gut. Ob es wohl noch ein Dolci gibt, einen kleinen Nachtisch? Das geht immer (außer es ist oller Kuchen…)
Und statt dem Dolci kommt dann was????
Die Vorspeise. Das Primi. Natürlich Pasta. Bislang, das waren doch alles nur Antipasti! Die leckerste Lasagne meiner Tour liegt auf unseren Tellern!! Die kann man nicht nicht essen! Oder „nur ein kleines Stück“, das geht einfach nicht. Dann folgt schnell das Hauptgericht, Kalbsfleisch in Zitronensoße. Salat aus dem Garten. Bratkartoffeln.
Ob wir noch Käse als Zwischengang wollen? Alle winken panisch ab. Na gut, zuckt sie die Schultern, dann halt gleich Dolci. Gefüllte Pfirsiche und Bonet, diese Schokoladen-Pudding-Spezialität hier. In Summe waren es 10 Gänge… Von denen ich in meiner unermesslichen Disziplin wieder nur 9 gegessen habe, nein keinen Käse bitte. Quasi ein Affront in Italien, aber die Linie geht natürlich vor… ;-))) Und es war so lecker, ich hab echt vergessen Fotos zu machen…
Zwischen den Gängen muss man rausgehen, es ist schon wieder ein so schöner Abend. Der Wettergott ist nicht nur zurück, sondern gekommen, um zu bleiben. Es ist jetzt nur noch schön, vielleicht wirds ein bisschen zu warm, aber selbst die deutschen Gewitterexperten sind sich einig: Die nächste Woche kommt nix Nasses vom Himmel.
Abends reche ich dauernd nach, das kann doch nicht sein, dass der Mann jetzt eine Woche dabei war? Mir kommt das so viel kürzer vor? Aber es stimmt - Alagna - Peccia - Rif. Rivetti - Kloster San Giovanni - Kloster Oropa - Rif. Coda - und jetzt hier. Er meint, das war so vielseitig, einige tolle Bergetappen wie die nach Rivetti, oder die gestern und gleichzeitig sowas wie Kloster Oropa, wo wir vermutlich unser ganzes Leben niemals hingekommen wären. Das waren Bonustage, sagt er, eigentlich wäre er ja diesmal gar nicht dabei gewesen, traurig sein gilt also nicht. Bin ich aber trotzdem.
Haha, gaaaanz uneigennützige Vorschläge kommen da aus Nürnberg, gaaaanz uneigennützig…
Hallo du nette Alpenbloggerin,
mit Begeisterung habe ich gerade deine letzten Beiträge gelesen :) Dein Schreibstil ist einfach genial. Und vorallem absolut authentisch. Mir hat das Lachen mit dir/euch sehr gut getan…
Falls du noch überlegst bis nach Susa zu laufen, ja, tu es! Ich habe mich heute spontan für einen Pausentag am Lago di Malciaussia im Rifugio Vulpot entschieden. Ein ganz wunderbarer Ort :)
Viele Grüße vom Wien-Nizza-Mann
Nach Tag 21 hatte ich schon Sorge, dass Du aufgibst - aber nun besteht wieder Hoffnung. Vielen Dank für die tollen Berichte, das ist immer ein Highlight! Ich muss unbedingt zu diesem Agritourismo... Unbedingt... schon wegen des Essens... Ich schaue mir schon Zugverbindungen ins Piemont an ;-) Ich wünsche Dir noch viel Spaß und tolle Tage auf dem GTA!
Joaa, das war wieder lustig zu lesen (Wetterpersonal/verbotene, irrelevante Bilder..) uund aanstrengend (erstmals als die Bonnes so kaputt ankamen..naja das mit den 1,5 h war dann wieder leicht lustig, hattet ihr das ja hinter euch/zweitens weil man soo viel mitessen musste..ohne Pause zwischen den Gängen) uund erleichternd, weil es einen Pausentag gibt uund natürlich halbesknienichtmalnackig 😉🙈 traurig.
Danke für den Blog!!🥰
…. . . . .wäre ich auch! Aber auf der anderen Seite, genieße den Pausentag, die nächsten Höhenmeter, das tolle Wetter und die neuen Menschen, die von dir beeindruckt sein werden, deine Freiheit zu entscheiden was und wie du es tun möchtest, einfach dein Leben!
ich freue mich auf morgen , auf die nächsten km, die ich gedanklich mit dir laufe, schlafe gut und bis morgen ……und schicke ihn heim! Du brauchst auch mal Zeit für uns……äääääähm, für dich 😘