Dienstag, 06.08.24
GTA Süd Rifugio Genova-Figari - San Giacomo (Etappe 55)
Unterkunft Monte Gelas
Hm rauf 460, Hm runter 1.260, km 13,8
Unterwegs von 10:30 - 16:00, reine Gehzeit ca. 5h
Kosten Rifugio Figari: 62 € mit DAV-Ausweis im MBZ mit HP, Dusche (5 Euro), Wlan-PW (1 Euro) und inkl. aller Getränke
„Last Night I dreamt of San Pedro….“ schallt es von den Bergwänden. Genau das singt da lautstark und nicht ganz Ton-treffsicher eine italienische Jugendgruppe, die mir auf meinem inzwischen doch sehr sonnigen Aufstieg entgegenkommt. Und mir damit für den Rest des Tages einen Ohrwurm spendiert. Vielen Dank dafür ☺️ Wusstet ihr, dass der Song ursprünglich Michael Jackson angeboten wurde? Der wollte ihn aber nicht, der hat lieber seine Dirty Diana besungen statt diese spanische Insel. Madonna hat einen Welthit draus gemacht! Der jetzt von italienischen Jugendlichen voll Leidenschaft wiedergegeben wird. Musik verbindet.
Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt „aus dem Weg geräumt“ da mir nicht nur von oben besagte Schief-Sänger:innen entgegenkamen und an dem engen Weg an mir vorbei wollten, sondern mir auch schon die ganze Zeit von unten eine deutlich ältere (naja so alt wie ich halt vielleicht) Wandergruppe auf den Fersen war, mindestens 12 Leute. Ich mag das ja üüüüüüüberhaupt nicht, wenn jemand so an mir dranhängt. Ich klettere also ein Stück vom Weg weg, mach eine Trinkpause, um die verschieden Wanderheere an mir vorbei ziehen zu lassen. Zugehen tut das hier plötzlich! Bis eben war ich ganz allein.
Dann sitze ich jetzt halt hier ein bisschen. Sitzen kann ich gut.
Ich blicke zurück auf den Grat, wo wir gestern rüber sind, steil abgestiegen und um den halben Stausee herum an diesem wunderschön gelegenen Rifugio angekommen sind.
Da an der niedrigsten Stelle rechts im Bild, wo sich dahinter die Wolken auftürmen, da sind wir hergekommen.
Heute morgen konnte ich ewig nicht losgehen, die Atmosphäre war so zauberhaft friedlich, beide Seen glitzerten um die Wette, Gemsen, die vor der Hütte entlang spazierten, das nette Team, das nachdem gegen 9 Uhr dann auch die allerletzten los sind, in der Sonne frühstückte. Und die sich scheinbar so gut verstehen.
Und ich saß mit meinem 1-Euro-Wlan an der Hausmauer in der Sonne und hab die letzten Tage Revue passieren lassen. Paula und David waren im letzten 9 Uhr Schwung dabei, sind dann aber wie ich abends erfahren habe nicht weit gekommen, weil David in den Speichersee zum Baden springen musste. Laut seiner Aussage der bislang genialste See zum Baden.
Ich werde da noch bis halb 11 sitzen, heute ist ein nicht so langer Tag, bestes Wetter, wenige HM rauf, ich fühle mich gerade sehr selbstbestimmt und frei, einfach noch NICHT loszugehen…Und als ich dann endlich ganz selbstbestimmt loslaufe muss ich gleich wieder stehen bleiben, weil der Speichersee heute ein Spiegelsee ist, der die Wolken und die Bergkette eins zu eins im Wasser nochmal abbildet!
Plötzlich wird das Bild ein bisschen unschärfer, und da ist noch jemand, der um diese Zeit an dieser Stelle ganz alleine unterwegs war - ein Fisch, der munter in der Nähe des Ufers schwimmt und mit seinen Flossenbewegungen kleine Kreise ins Wasser schlägt. Ich liebe dieses Bild!
Er ist so klein und er verändert doch die Szenerie. Welche Kreise hinterlassen wir? Welche wollen wir hinterlassen? Das ist ja immer die spannende Frage. Ich nehme die Frage mit in den nun anstehenden Aufstieg…
Der dann unerwartet steil und heiß ist und ich bin ganz froh dank der diversen Gruppen-Aufläufe nun einen Grund für eine Pause zu haben. Die Jugendlichen sind schnell vergnügt an mir vorbei, die „alten“ grüßen alle einzeln sehr freundlich, die letzten beiden in der Kolonne bleiben stehen. Ob ich auch zum Colle di Fenestrelle hochlaufe?
Ja erstmal schon.
Und dann zurück? Ne, zurück laufe ich grundsätzlich nicht. Sondern immer weiter. Heute nach San Giacomo. San Giacomo? Das sei aber weit. Und dann? Naja irgendwann hoffentlich ans Meer, Ventimiglia. Er kann es nicht fassen! Wo ich gestartet bin. In SUSA??? Wann? Vor 23 TAGEN? Sie reißen beide die Augen auf und sind SEHR beeindruckt. Italiener sind wandertechnisch ja immer sehr leicht zu beeindrucken, die fahren ja meist nur mit dem Auto zu Berghütten. Wobei ich den Eindruck habe, hier ist es anders und es ändert sich, mehr und mehr auch junge italienische Paare treffen wir hier öfter. Wir plaudern noch ein bisschen, dann müssen sie ihre Gruppe einholen, sie winken, nicht ohne mir noch zu sagen, wie mutig und cool ich doch sei ☺️
Ein wirklich guter Morgen!
Ich sitze noch ein bisschen und schaue zurück, dann aber hopp, letzter Anstieg. Ein Schneefeld liegt im Weg, und das sieht ziemlich löchrig, unterhöhlt und gar nicht gut aus.
Ein italienischer Familienpapa jammert, dass er der Sherpa für seine Kinder sei. In beiden Händen trägt er je einen kleinen Rucksack, auf dem Rücken seinen eigenen. Er sagt, ich soll da ja nicht drauf, da ist sehr gefährlich, er sei mit seiner Familie unten rum gegangen. „Warum nicht oben drüber klettern, über die Felsen?“ Er winkt entsetzt hab, das geht nicht, ich soll lieber absteigen und das Stück wieder aufsteigen. Hm… das mach ich ja nicht so gerne. (Unnötig) runter um dann wieder rauf zu gehen? ER hatte auch gar keine Hände zum klettern frei. Ich ja schon…
Ich kraxel oben rum! P&D werden später erzählen, sie haben es genauso gemacht. Und unsere GPS-Daten gingen da auch (so in etwa) entlang. Also, alles gut! Aber es kostet dann doch ein bisschen Zeit.
Und dann - Colle Fenestrelle, höchster Punkt für heute.
Die italienische Wandergruppe sitzt als bunte Punkte versprengt in der Landschaft, ein Stück unterhalb des Colle, da ist es windgeschützt.
Als ich oben stehe höre ich jemanden sagen „DAS ist das ragazza, das bis Ventimiglia läuft!“
Und als ich 10 Minuten später an ihnen vorbeikomme, passiert was?
Alle springen gleichzeitig auf und…
👏 Applaudieren 👏
Sie Jubeln lautstark! „BRAVA! Complimenti!“
Ob weil ich den Gipfel erreicht habe oder weil ich schon so lange unterwegs bin oder weil ich PLANE ans Meer zu laufen bleibt unklar. „Gute Reise!“ „Viel Glück!“ „Namaste!“ ruft es mir mehrstimmig und mehrsprachig von allen Seiten zu.
Sowas passiert einem immer nur in Italien! In Österreich 🇦🇹 eher selten.
Ich mag Italiener:innen. Sehr! Was für ein bestärkender, famoser Tag!
Wir sollten uns alle gegenseitig viel öfter zujubeln!
Der Abstieg zieht sich ein bisschen, da unten am Hang klebt die Soria-Ellena Hütte. Da wollten wir uns treffen, da ich aber sooo lange nach P&D los bin, denke ich mir, die sind sicher eh nicht mehr da. Handynetz gibt es den dritten Tag in Folge gar keins. Und der Weiterweg geht links ins Tal rein, die Hütte liegt ca. 20 HM ab vom Weg (David und ich werden abends unsere aufgezeichneten Daten vergleichen, es sind exakt 20 Hm)… Viel zu viel. Fast schon ein irrelavanter Nebengipfel. Und die Terrasse liegt komplett in der prallen Sonne. Mich zieht es da grad gar nicht hin und ich mache stattdessen unten am Bach eine längere Pause und sitze - mal wieder - auf einem großen Stein herum. Da esse ich ein paar Gummibärchen.
Beim weiteren Abstieg bleibe ich aber nicht allein…
Dieser süße Steinbock steht plötzlich mitten auf meinem Weg…
Und schaut mich frech an. „Wie machen wir das jetzt?“ frage ich ihn. „Ich will gerne an dir vorbei, dich aber nicht erschrecken / verjagen.“
„Ach, weißt was?“ scheint er zu sagen, „dann stell ich mich doch auf die Seite hier auf diesen Stein, dann kannst du gut vorbei und ich habs bequem. Und das gibt doch auch ein gutes Fotomotiv für deinen Blog, oder?“ So machen wir es dann auch.
Und dann begleitet er mich noch ein bisschen am Wegesrand. Wie unglaublich schön sind diese Tiere bitte?? Das Gesicht! Die Augen!! Zoomt da mal rein!!
Hinter der nächsten Kurve dann: „Kuckuck - ich bin immer noch da!“
Auf den letzten Km wurde ein Blätterdach gebaut, das Schatten spendet. Rechts rauscht ein Bach mit tollen Badepools, direkt an der Unterkunft wird auch einer sein, der so tief ist, dass die Kinder da von einem Felsen reinspringen. Aber ich hab jetzt plötzlich ein wichtigeres To-Do als Baden, es geht genau JETZT schlagartig gar nicht mehr… Diesen Punkt gibt es auf jeder Weitwanderung, meist kündigt er sich sukzessive an, diesmal jedoch SCHLAGARTIG. Ich MUSS heute JETZT all meine Sachen in einer Waschmaschine waschen, noch einen Tag im Waschbecken alles „nur kurz durchspülen“, das geht GAR nicht mehr! NO WAY!
Als ich ankomme, sind P&D noch gar nicht da, es gibt im ganzen Ort kein Handy-Netz, aber sie haben Wlan, das zumindest in der Bar funktioniert. Ob es auch eine Waschmaschine gibt, die ich benutzen könnte? „Ja klar, wir haben grad noch Bettwäsche drin, danach kannst du sie haben.“ Oh mein Gott! DANKE!!
Das Team ist sehr jung und wahnsinnig nett, es gibt hausgemachtes Eis, das köstlich ist! Wir bekommen statt des angekündigten 6-Bett Zimmers ein Zimmer zu dritt mit eigenem Bad dabei.
Das ist schon mal alles großartig! Ich warte noch auf Paula und David, die wollen bestimmt auch was waschen, wir machen eine Maschine voll, reservieren die nächsten Unterkünfte, diskutieren zum wiederholten Male Etappe 59, die längste der ganzen GTA. Sie wissen noch nicht, ob sie genau davor abbrechen in Limonetto, von wo man gut weg kommt, oder diese Etappe noch mitgehen. Von der Hütte, die am Etappen-Ende ist, kann man in einen Ort absteigen, wo zweimal am Tag ein Bus nach Cuneo geht, dort steht ihr Auto. Auch das würde gut passen. David hat plötzlich eine Km-Phobie, ich bekanntermaßen schon immer eine Hm-rauf-Phobie. Ein Tag der 1.650 hm rauf geht auf 25 km, da finden wir beide gute Gründe, das doof zu finden. Man kann sich mit einem Shuttle zum Tienda-Pass fahren lassen, dann sind von den 9 h Gehzeit 2 h weg. Und 600 hm (mein wichtigstes Argument) und 5 km (Davids wichtigstes Argument, wobei er die übrig gebliebenen 20 km immer noch „viel zu viel“ findet). Paula mault, sie will zu keinem Tinder-Pass. Wer weiß, was da abgeht.
Wir werden das noch ein paar Abende diskutieren… Ich muss / möchte da ja weiter, ich reserviere jetzt einen Platz in dieser Hütte und frage an der Unterkunft davor per WhatsApp nach einem Shuttle zum Tienda-Pass. „Ok“ kommt nur kurz zurück. Gut, das war einfach. Ich werde es also auf jeden Fall gehen, mit ein klein bisschen Schummeln.
Wir freuen uns aufs Abendessen. Weil auch das hier soll ein Gourmet-Tempel der Slow-Food-Bewegung sein.
Nun, es ist köstlich, was aber noch mehr an einen Gourmet-Palast erinnert als der Geschmack sind die … Portionen. Paula wiederholt ihr bald allabendliches Mantra „Im Norden gabs mehr zu Essen.“
Und früher war mehr Lametta, würde Loriot wohl ergänzen.
Heute gibt es eine kleine Polenta-Schnitte mit nem Klecks Käse-Soße, eine Brokkoli-Suppe, dann ein sehr kleines Stück Fleisch dünngeklopft mit 3 Blättern grünem Salat. Stop, das geht so nicht. Ich überlege, was ich heute gegessen habe: Frühstück war schon so karg, 3 Zwieback mit Nutella. Hab noch ein Stück Butter gegessen, damit ich noch ein paar Kalorien bekomme. Mittags 5 Gummibärchen. Eine Kugel Erdbeereis beim Ankommen. Man soll möglichst bunt essen, sagen die Ernährungsexperten, das habe ich heute, dank einer Haribo-Tüte aus der Notreserve-Box und dem Erdbeereis, aber ich bin irgendwo bei 1000 Kalorien, das geht jetzt echt nicht!
Ich finde es ja gut, dass die Teller nicht immer so übervoll gemacht werden, dass dann nicht die Hälfte im Müll landet. Aber wenn man dann noch so Hunger hat, dann muss man es auch sagen. Natürlich bekomme ich nochmal was. Noch ein kleines Stück Fleisch und noch mehr grünen Salat. Na gut. Noch einen Nachtisch und ich könnte ohne Magenknurren durch die Nacht kommen.
Der Abend ist sehr lustig und schon wieder kann man lange draußen sitzen.
Mal gucken, ob ich heute Nacht von San Pedro träume 😴 Oder vielleicht doch eher vom Strand in Ventimiglia? Etappe 55 von 65… Da sind gar nicht mehr sooo viele übrig...
Dankeschön, vielen dank für den 👂🪱
Und endlich habe ich etwas gefunden, bei dem ich mit dir mithalten kann!
Sitzen! Das kann ich auch gut! Sitzen finde ich echt toll!
Und deine Bilder sind mal wieder der Oberknaller! Ich liebe diese Spiegelungen im Wasser! Das hat man auch immer am Eibsee…..mein Lieblingssee! Auch wenn er unten liegt, unter dem höchsten deutschen Berg.
Und ich liebe es deine Berichte zu lesen und zu fühlen!
Mach weiter mein Mädi!
Ich drücke dich aus N , deine Frau G 😘
Hallo Kaharina !
Im Text von Tag 23 kommt am Ende schon mal im Vorgriff „Ventimiglia“ vor 😊.
Da haben wir uns getroffen 👋
Nach 50 - 60 Treppenstufen zum Gemeinschaftsraum in der Altstadtwohnung
Ich brauchte 8 Tage von München bei 7546 Hm
Gefühlt hast Du das 10-fache geleistet und erlebt!!!
Complimenti
Gruß Wolfgang