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Tag 23 Salzburg – Triest: Die slowenische Bockwurst-Diät



Donnerstag, 22.07.21

Pogacnikov dom  – Koca na  Dolicu (Rother-Etappe 21)

Hm rauf 1.300, runter 1.150, gelaufene km 12,5, reine Gehzeit 7 Std.


Ich habe noch nicht herausgefunden, was das mit dieser Bockwurst-Esserei soll. Warum machen die das? Morgens, mittags, abends?? Wieso?? Wer sich Low Carb ernähren möchte, hat es hier sehr leicht. Vegetarier oder Kohlehydratier, die werden sterben. Oder zumindest sehr unzufrieden… und sehr, sehr hungrig. Was ja dasselbe ist.

Den heutigen Tag fand ich unerwartet anstrengend. Wobei ein Blick auf das Höhenprofil geholfen hätte, DAS ist normal nicht meine ideale Verteilung: Steil runter, steil hoch, steil runter, langer Schlussanstieg? GAR nicht ideal. Aber nun gut, ein fitter Turnschuh sollte ja alles gehen können…



Es geht bei schönem Wetter los mit ein bisschen Morgen-Kletterei. Nachdem wir die gestrige alpine Etappe umgangen haben, wird das wohl heute eine der alpinsten. Und wir werden heute den Triglav sehen, den höchsten Berg Sloveniens, Nationalheiligtum, Namensgeber des Nationalparks in dem wir gerade herumturnen.




Er kommt bald ins Sichtfeld und begleitet uns den ganzen Tag. Hier in der Gegend sind wohl häufig Steinböcke zu sehen, heute leider nicht. Aber damit ihr sie erkennt, wenn ihr da mal seid: Hier ein „Leih-Steinbock“ von einer Wandersfrau gestern. Gestern lagen sie hier faul in der Gegend rum und haben sich wohl überhaupt nicht an den vorbeilaufenden Neon-Menschen gestört:



Ich finde das den magischsten Moment des Tages, als wir auf dieses Wolkenmeer unter uns zulaufen, den Triglav zum ersten Mal so deutlich sehend. Obwohl wir gerade erst losgelaufen sind (Und ich ja in einer früheren Folge schon ermahnt worden bin, dass man doch nicht gleich wieder stehen bleibt…) muss ich hier kurz auf einem Felsen sitzen und meditieren und diese besondere Stimmung ganz aufsaugen.




Dass das, was von hier oben so stimmungsvoll aussieht, weiter unten Nebelsuppe ist, in die wir gleich absteigen werden, habe ich zu diesem Zeitpunkt Gottseidank noch nicht realisiert 😉



Und dann beginnt ein langer, steiler Abstieg. Der Rother warnt, man muss an einer Stelle aufpassen NICHT den Markierungen zu folgen sondern rechtzeitig abzubiegen, es wäre schlecht markiert, (bzw. Gar nicht) wir übersehen die Stelle und steigen erstmal in die falsche Richtung ab. Da ich mir vom alleine laufen angewöhnt habe – egal wie eindeutig der Weg ausgeschildert ist – alle Viertelstunde auf den GPS Track zu schauen fällt es uns ca. 150 HM weiter unten schon auf. Nicht viel passiert, wir steigen wieder zurück auf, finden den richtigen Abzweig, haben ca. eine halbe Stunde Umweg eingelegt. Das Pärchen von gestern Abend überholt uns, wir befragen sie zu dem schwierigen Schneefeld am Vortag, sie sind es ja gegangen. Sie fand es easy, er total schwer, weil es eben so steil sei, er sei zweimal abgerutscht. Man wäre nicht gestorben, meint er, aber weit in ein Geröllfeld abgerutscht. Ich finde, wir haben das richtig entschieden.


An einer Biwak-Unterkunft legen wir eine Pause ein, wir haben statt der 2 Stunden schon über 3 bis hierher gebraucht. Der Aufstieg zum Luknaja Pass ist echt steil, man hat wenig Sicht, es wird immer nebeliger. Die Seilversicherung im oberen Teil dient, so glauben wir, eher dazu sich da irgendwie hochzuziehen, es ist so steil, ich weiß gar nicht wie man da sonst hochkäme. Ein bisschen Schneefelder gibt es heute zur Abwechslung auch mal wieder, sie sind aber problemlos zu gehen.




Und dann der letzte lange Aufstieg. Sehr gleichmäßige Steigung, einfache Wege, gut zu gehen. Auf ehemaligen Militärwegen gleichmäßig in Kehren nach oben. Aber eben viele Höhenmeter, nach einem Tag den ich bis dahin schon echt nicht so einfach fand. Ich nehme heute wieder den mir offensichtlich von der Evolution zugedachten Platz ein – weit hinter einem immer kleiner werdenden Neon-Punkt hinterher hechelnd. Hier auf dem Bild sieht man gut die sich den Berg hochschlängelnden Kehren.



Mein Glück ist, dass ich in Mathe so schlecht bin. Ich verrechne mich heute laufend bei der Frage, wieviele Höhenmeter noch übrig sind und komme ständig auf „nur noch 150.“ Das ist zwar viele Male falsch, aber irgendwann ist man dann doch oben. Vor der Hütte nochmal Schnee und Nebel, aber wir werden dort von Gemsen begrüsst, erst eine, dann folgt eine ganze Familie mit Kleinen.




Gemsen im Nebel begrüssen uns ca. eine halbe Stunde vor der Hütte. Könnt ja mal suchen, wieviele ihr findet 🙂

Die Hütte sieht man dann vor lauter Nebel erst, als man fast direkt davor steht…



Die Hütte ist sehr einfach, das WC ist ein Loch im Boden mit Tür davor. Aber jeweils für Männer und Frauen getrennt. Wir bekommen ein schönes Zimmer, von dem aus hat man einen perfekten Blick wie lange gerade die WC-Schlage ist. Ich kann nicht glauben, dass die Leute wirklich anstehen, gibt es keine andere Lösung? Ich blicke mich um, wir sind oberhalb der Baumgrenze. Nein, keine andere Lösung 😉



Wir sind mit 2 Jungs im 6-Bett-Zimmer, zwei Betten sind noch frei (und bleiben es auch). Kurz hatte ich mal Panik, als ich den schnarchenden Tangotänzer und seine Bergkameradin ankommen sah, aber sie kamen in ein anderes Zimmer. Hier kommen heute überhaupt alle an. Die beiden haben eine Hütte ausgelassen und sind direkt hier aufgestiegen, wollen dafür morgen früh aber auf den Triglav und gehen dann anders weiter. Die Schwäbin ist schon hier und Carmen aus Köln auch! Sie hat einen Mann im Schlepptau, einen Franzosen! Sie unterhalten sich prächtig, Carmen ist kaum wieder zu erkennen, sie lacht, ist witzig, merkt sich sogar vereinzelt Dinge, die der Franzose ein paar Sätze VORHER gesagt hat! Er spricht ein bisschen Deutsch, sagt auf deutsch, er habe das vor 80 Jahren in der Schule gelernt. Carmen ist total beeindruckt „wow, seit 80 Jahren sprichst du schon deutsch!“ Dass der Mann vor ihr höchstens 60 ist, irritiert sie dabei kein bisschen. Irgendwann kommt der Franzose von selbst drauf, er verwechselt immer die Zahlen 40 und 80. vor 40 Jahren hat er deutsch gelernt! Sie lachen sich kaputt.


Es mag unglaublich romantisch klingen, auf einer einsamen, stillen Berghütte mitten in den Julischen Alpen seinen Traummann zu finden – ich höre die mitlesenden Singlefrauen hier schon wieder leise seufzen. Ich rate ab! Lasst das!! Theorie und Praxis! Es gibt ein paar Dinge, die ihr wissen solltet:


1) sind slowenische Berghütten nicht einsam, sondern krachvoll.


2) sind sie nicht still sondern krachlaut.


3) ich weiß gar nicht wie ich euch das jetzt sagen soll, also, nun ja: wir schreiben Tag 4 ohne Dusche. Tag 2 ohne Zähneputzen. Es gibt kaum Wasser. Auch das abendliche Socken-und-Wäsche-wenigstens-im-Waschbecken-kurz-durchspül-Ritual war seit Tagen keine Option mehr.


4) Das Essen ist alles andere als sinnlich. Zumindest liegt mir keine Studie über die aphrodisierende Wirkung von Bockwürsten vor.


Womit wir bei der kleinen Schwierigkeit wären, die ich mit dieser eigentlich total schönen Hütte habe. Das Team ist superfreundlich und hilfsbereit, die Zimmer gemütlich, die Regeln einfach. Frühstück gibt es von 6-8, Abendessen auch. Von 6-8 Uhr. Aber ich brauche lange, das Essens-System zu verstehen. Und als ich es verstanden habe, kann ich es nicht glauben: Halbpension-Menü heißt hier: Beilage oder Nachtisch. Wir kommen erst um halb 7 runter (Fehler des Tages) ich sehe die Bergkameradin an einer Bockwurst rumkauen. „Nicht so lecker?“ frage ich sie. „Bin Vegetarierin“ kommt es zurück. „Aber was willst du machen, ich verhungere hier ja sonst.“ Ich weiß es gibt zwei Gerichte zur Auswahl, ich beschließe auf jeden Fall „das andere“ zu nehmen.



Das ist Gulasch mit Polenta! Na das ist doch mal eine gute Nachricht. Bis eben zu dem Punkt, dass der Mann an der Theke von mir wissen will ob ich zum Gulasch mit Polenta etwa Polenta haben will oder dann später einen Marmeladenpfannkuchen als Nachtisch. Hääääh??? Was sind das für Fragen? Offensichtlich waren hier Unternehmensberater am Werk,  die eine klare „entweder-oder-Matrix“ aufgestellt haben. Ich denke sehnsüchtig an die Südtiroler Dolomiten-Hütten wo „Menü“ bedeutete: Einen großen Teller Nudeln UND einen Teller Polenta UND einen großen Nachtisch. Mir macht es überhaupt nichts aus jeden Tag dasselbe zu essen oder ganz einfache Sachen, gar nicht! Ich verstehe, dass es hier oben keine Speisekarte und groß Auswahl geben kann. Aber auch einfache Sachen kann man mit Liebe kochen. Oder wenigstens anrichten. Mir fehlt das immer mehr, nach einen harten, anstrengenden Tag draußen nichts „schönes“ zu essen zu bekommen.


Ich muss kurz rechnen, es geht hier nicht mehr um Genuss, sondern ums Überleben: Polenta macht wohl mehr Sinn als dieser Mini-Pfannkuchen, den gerade jemand vorbeiträgt. Ich frage, ob ich nicht später noch einen Pfannkuchen extra bestellen kann, sie sagt, erst wenn alle gegessen haben und was übrig bleibt. Wir bekommen als aller-aller-aller-letzte das Essen, warten fast 1,5 Stunden. Aber gegen Zahlung von 6 Euro bekomme ich doch noch Pfannkuchen. Der kommt dann vor dem eigentlichen Essen, aber das macht gar nichts. Die Bergkameradin bestätigt: „Das Leben ist so ungewiss, gerade in den Bergen. Den Nachtisch zuerst erst essen macht auf jeden Fall Sinn!“



Der Franzose will sich jetzt auch einen Nachtisch mit Carmen teilen, es hat sich rumgesprochen, dass noch was übrig ist. Mich würde ja seine Meinung zu der slowenischen Hüttenkulinarik sehr interessieren. Seine französische Seele kann das unmöglich gutheißen. Aber er ist ja in die Nachtisch-Diskussion mit Carmen vertieft. Diese lehnt es vehement ab, Nachtisch zu teilen. Sie will ihren eigenen! Der Franzose war heute auf dem Triglav, der Mann würde das schon auch gerne gehen. Der Tangotänzer und seine Kameradin machen sich morgen früh um 5 los, er könne sich anschließen, um 9 Uhr wäre er zurück, morgen ist ein eher kurzer Tag. Er hat ein bisschen Respekt vor den ausgesetzten Stellen, der Franzose rät ihm gut zu. Selbst wenn er es nicht schaffen würde, das käme erst ganz zum Schluss und bis dahin hätte er schon einen tollen Blick.. Das überzeugt ihn, er will es probieren. Das Team ist supernett und versorgt ihn mit einem kleinen Tagesrucksack und einem Helm, Steinschlaggefahr ist da oben wohl schon. Der Mann ist hier auf Urlaub, der kann das machen. Für mich kommt das ja nicht in Frage, ich bin auf Alpenüberquerung. Da darf man seine Kräfte nicht an irrelevanten Nebengipfeln aufbrauchen. Schon gar nicht, wenn es nicht genug zu Essen gibt!


Draußen ist  später ein schöner Sonnenuntergang, ich stehe mit der Bergkameradin lange draußen. Sie kam plötzlich auf mich zu und meinte: „Ich muss dir unbedingt sagen, was du für ein positiver Mensch bist!“ Wie toll sie findet, was ich jetzt beruflich mache. Ich räume ein, das ich heute phasenweise ganz schön schlecht drauf war, der lange Schlussanstieg und das Essen haben mir etwas zugesetzt. Sie lacht laut, meint wenn das heute „schlecht drauf“ sei, wäre doch alles in Ordnung. Manchmal braucht es wen, der einen erinnert, wer wir sein wollen und genau das bestärkt. Wir reden lange, über die Liebe im Allgemeinen und die ihrige im ganz speziellen.





Plötzlich sagt jemand, „guckt mal in die andere Richtung!“ Und da steigt der Vollmond auf. Wunderschön und magisch.



„Danke fürs Zuhören!“ sagt sie irgendwann. Es wird kalt. Der Mann schließt sich morgen früh noch ihrer Triglav-Seilschaft an, wir aber werden uns nicht mehr sehen, sie gehen dann anders weiter. „Gute Entscheidungen“ wünsche ich ihr. „Danke, das ist jetzt schon entschieden. Ich werd’s beenden. Aber erst wenn wir vom Berg unten sind. Dir eine glückliche Reise.“ Glückliche Reise! Das hat meine Oma auch immer gesagt. Das bringt auf jeden Fall Glück! Ich hoffe uns beiden.


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