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Tag 5 GTA Süd - Seenreich auf die erste Berghütte


Freitag, 19.07.24

Ghigo di Prali - Rifugio Lago Verde (sehr lohnenswerte Abweichung von Etappe 39)

Hm rauf 750, Hm runter 635, km 13,5

Unterwegs von 10 - 17 Uhr, reine Gehzeit ca. 6h

Kosten Hotel Salei in Prali: DZ 75 € p.P., Abendessen ca. 40 € inkl. Diverser Aperol Spritze


Man braucht schon einen Plan beim Weitwandern. Einen ungefähren. Zum Beispiel dass man ans Meer will. Oder Richtung „Süden!“.


Pläne sind gut! Wenn man sich dann die Offenheit bewahrt, davon spontan auch abweichen zu können. Die häufigsten Gründe für Abweichungen vom ursprünglichen excel-Sheet, das meist in Februar / März aufgesetzt wird sind

a) weil es irgendwo besonders schön ist und man da einfach bleiben muss (Siehe z.B. München - Venedig Pausentag auf der Proseccofarm)

b) weil man besonders kaputt ist (siehe letztes Jahr Pausentag im Belvedere) oder das Wetter einen nicht lässt (siehe letztes Jahr die Folge „Gefangen im Gourmettempel“)

Oder c) weil die Locals einem zu etwas anderem raten!


Das wiederum passiert meist aus zwei Gründen, entweder weil irgendwas gesperrt / gefährlich ist oder weil sie eine bessere / schönere Alternative wissen. Siehe z.B. München - Venedig der Tag von der Maurerberg Hütte weg. Da hatte Claudio eine viel bessere Idee, die so großartig war. Heute ist der Grund Chiara, die unseren geplanten Tag unter die Lupe nimmt und kopfschüttelnd meint, „nein, also nein. Da verpasst ihr doch die Seen oben! Mal ehrlich, werdet ihr hier JE wieder herkommen? Vermutlich nicht. Und dann habt ihr unsere Seen nicht gesehen?“


Wir wollten die „alpinere Variante“ von Etappe 39 gehen, nicht nach Villanova absteigen sondern zum Rifugio Lago Verde gehen. Dabei „verlieren“ wir zwar einen Tag, gewinnen aber einen grandiosen Bergtag dazu, anstatt ins nächste olle kleine Bergdorf abzusteigen. Die ursprüngliche Etappe nimmt den Ski-Sessellift nach oben, läuft da über die Seen und auf der anderen Seite nach Villanova. Wir haben einen Weg zum Rifugio Verde gefunden, wo wir gleich von unten starten können, ohne Sessellift. Diesen Plan zerpflückt uns Chiara gerade. „Nein, fahrt mit dem Lift hoch und nehmt da den längeren Weg über die Seen zur Hütte. Das ist viel schöner, als dass ihr da von unten durch den Wald aufsteigt!“

„Wahrscheinlich ist der Liftbetreiber ihr Cousin,“ flüstert mir der Mann zu. Aber so machen wir es dann. Immer auf die Locals hören, alte Backpacker-Regel.


Eine französisch sprechende Familie packt sich auch gerade los, Eltern mit zwei Kindern. Sie reden alle wild durcheinander. Und sehen sehr nett aus.


Erst mal geht es an der Straße entlang zum Lift, dort ist auch die andere Unterkunft, die überall empfohlen wird. Wir fanden es direkt am Marktplatz aber viel schöner, Chiara meinte, sie haben das Hotel erst vor einem Jahr neu übernommen, da ist es aus dem Rother rausgefallen. Obwohl es ein historisches GTA - Gebäude ist und die Vorbesitzer immer drin waren.


Dann bereichern wir Chiaras Cousin um 2 x 8 Euro - das ist ja überschaubar.

Dafür haben wir jetzt einen Skipass! Toll!!

Ob wir hin und zurück wollen, fragt der nette Mann an der cassa? No, no retorno!


Der Mann glaubt, Lifttransporte würden meine Leser sicher sehr interessieren, und macht 1000 Fotos davon 🙄 Dann schwenkt er aber wieder um auf das, was er schon den ganzen Vormittag tut: Literarische Klassiker zitieren, genauer gesagt Asterix. Irgendwas mit einem Fischhändler und vergammeltem Fisch. Ich wähle einen eigenen Sessellift, dann ist wenigstens mal 12 Minuten Ruhe mit dem Fisch-Bashing.


Oben angekommen ist tatsächlich ein bisschen was los, es gibt eine Hütte mit Aussichtsterrasse, einige Asiaten stapfen mit Selfie Stick und großen Hüten vor uns, es ist alles bestens ausgeschildert.

Und auf schönen, leichten und erneut blumenreichen Wegen erreicht man schon bald die ersten Seen.





Zum Baden ist es eindeutig zu kalt. Drinnen wie draußen. Ich wollte ja eigentlich zum Rifugio Lago Verde, weil es an einem See liegt. Und man dann nach einem langen Wandertag doch bestimmt kurz reinhüpfen kann. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob mein Plan aufgehen wird.


Wir laufen weiter…

Und weiter… (Achtung, ich baue gerade einen Spannungsbogen auf…)


Und weiter…. Und kurz hinter dieser reißenden Flussüberquerung sitzt plötzlich WER MITTEN auf unserem Weg? Wir fallen fast über sie drüber.


Die keinen-Käse-essende-Holländerin mit dem dazugehörigen Mann ohne Wanderstecken!

„Wie habt ihr es denn VOR uns geschafft?“ fragt der Mann verblüfft.

An der Breite ihres Grinsens wird sehr schnell klar: Hier wurde doch geschummelt…


„Also der Abstieg vorgestern, der war ja wirklich die Hölle!“ erzählt sie. „Ihr wart da so schnell weg, zack, zack, zack wart ihr aus unserem Sichtfeld, sooo schnell seid ihr da runter. Wir konnten das nicht, haben ewig gebraucht, ihm ging es dann im Wald total schlecht und unten auf der Straße sind wir dann das letzte Stück getrampt.. (Anm. Das ist in Italien verboten, das weiß doch jeder, seit letztem Jahr sogar ich…) Die Frau die uns mitgenommen hat war so nett. Ja und dann dachten wir uns ne, nochmal so einen Tag, das packen wir nicht. Dann sind wir gestern mit dem Bus von Usseaux nach Prali gefahren,“ - ihr Mann unterbricht sie „Und guckt was ich mir dort gekauft habe!“

Er reckt zwei nagelneue Wanderstecken in die Höhe! „Geht viel besser damit!“

Prali-Stecken! Toll. Klingt fast wie Prada.

„Ja und heute dann ganz entspannt mit der Gondel hoch und tadaaa - da sind wir. Und machen schon wieder Pause“ lacht er.

„Ich bin immer, auf jeder Weitwanderung, die langsamste unfitteste, die zwar immer ankommt aber eben … langsam.“ führe ich aus. „Aber ich habe erstmals den Verdacht….“ „jaaa, jetzt hast du uns!! Du bist es diesmal nicht!!“ führt die keinen-Käse-essende-Holländerin meinen ungeheuerlichen Gedanken zu Ende.


Der Mann (also meiner) will jetzt auch die (seiner Meinung nach) wichtigsten Informationen mit unseren holländischen Freunden teilen:

„Sie trägt seit Tagen alten Fisch im Rucksack spazieren.“ sagt er. Es klingt irgendwie… anklagend. „Iiihhgitt!!“ Die keinen Käse essende Holländerin scheint auch Fisch nicht zu mögen und rutscht von mir weg. „Sie wird als der erste Mensch in die alpine Geschichte eingehen, der auf einer Berghütte an einer Fischvergiftung gestorben ist.“ orakelt er.


Alle machen Brotzeit, aber ich habe tatsächlich schon wieder keinen Hunger. „Die beiden da sind Schweizer“ erklärt sie uns, die laufen jetzt auch nach Villanova und danach wo anders hin, die seht ihr nicht mehr.“ Der Mann meint beobachtet zu haben, dass der Schweizer Rotwein aus einem Mini-Tetrapak getrunken hat, so wie ein kleines Sunkist, nur ohne Strohhalm dran. „Dann ist da noch eine zauberhafte Familie mit zwei Kindern, die müsstet ihr heute am Lago Verde sehen, die wollten da auch hin. Und Chloe, eine Studentin, die gerade ihre Masterarbeit über allein reisende Frauen schreibt, die ist auch toll.“ Der Berg-Flurfunk funktioniert wieder bestens, wir sind jetzt genau im Bilde, nach wem wir Ausschau halten, wem Grüße ausgerichtet werden müssen, wer wohin unterwegs ist. Und da sie Tour de France begeisterte ist, an welchen Etappen unserer Tour die vor kurzem durch sind, man könne sich das in der Mediathek anschauen, tolle Drohnenbilder genau von unseren Wegen. Und wir wissen jetzt auch, wo UNSERE Wege nochmal zusammenlaufen werden. „Dann sehen wir uns ja nochma! Wie schön!“


Wir laufen weiter und ich muss jetzt doch mal bemerken, dass das heute ziemlich zäh geht. „Ist das die Höhe?“ frage ich. Aber das macht gar keinen Sinn, wir waren die letzten Tage doch genauso hoch. „Eher deine zwei Aperol Spritz und der Schnaps von gestern.“ vermutet der Mann.


Und dann - Trommelwirbel - bekomme ich doch Hunger. Wir suchen uns nochmal ein schönes Plätzchen. Und an diesem denkwürdigen Ort wird er dann auch verspeist werden - der Pistazien-Fisch, der übrigens ganz hervorragend schmeckt!



Sogar eine Kartoffel haben sie mir noch dazu gepackt! Großartig.

Die Wege bleiben schön, aber anstrengend. Mit Blick auf die „Daten“ des heutigen Tages klingt das alles harmlos, aber es hat mich ziemlich geschlaucht. Und wir haben auch echt lange gebraucht.

Aber es war grandios und ich kann diesen GTA-„Umweg“ nur wärmstens empfehlen.


Einen klitzekleinen Nebengipfel nehmen wir noch mit, da stünde eine Glocke, die kann man laut bimmeln lassen, hatte uns Chiara noch erklärt. „Und dann? Was passiert dann?“ hatte ich wissen wollen. „Was weiß ich - vielleicht 10 Jahre Glück?“ Ich Bimmel zweimal. Gibt dann wohl 20 Jahre. Läuft bei mir…


Abstieg, ein bisschen Schneefelder, aber alles easy.

Und dann: Hütte in Sicht 😍


„Was ist denn das für weißes Zeug auf meinem Badesee?“

„Das ist, wie in jedem guten Wellness-Hotel, die Abdeckung des Whirlpools um die Temperatur konstant warm zu halten.“ erklärt mir der Mann. „Da kannst du nach dem Essen sicher noch reingehen.“


Wir bekommen ein Zimmer für uns alleine, großartiges Essen, es ist schon wieder Gemüse dabei (grüne Bohnen! Auf einer Berghütte!) Alles ist liebevoll, die Wirtsleute samt Kinder sprechen alle englisch und französisch. Warme Duschen gibt es in Italien sowieso immer. Wir treffen die angekündigte „zauberhafte Familie“ - es sind die 4 aus unserem Hotel heute morgen. Sie sitzen am entferntesten Tisch, die Mama lacht aber immer zu uns herüber. Später kommt sie mit einer Karte rüber und will mich (MICH) irgendwas darauf fragen. „Bitte alle Fragen mit Richtungen und Landkarten an ihn. Mich kannst du alles andere fragen!“. Sie sind aus der französisch-sprachigen Schweiz und Mitte Juni losgelaufen. Die Kinder 11 und 13 haben 8 Wochen Ferien, der Mann hat Sabbatical genommen „Wir haben in der Schweiz nur 4 Wochen Urlaub, das ist nicht wie bei euch.“ Sie hatte vor 2 Jahren Krebs. „Man muss die Zeit nutzen“ sagt sie.


Echte Weitwanderer, sie sind von ihrer Wohnungstür in Martigny gestartet und planen Mitte August am Meer zu sein. Sie biegen zuletzt aber nach Frankreich ab und kommen in Menton an, statt in Ventimiglia, wo der GTA „offiziell“ endet. Unsere Route ist in weiten Teilen identisch, manchmal bleiben sie auf einem Biwak. Maximal 5 h Gehzeit mit den Kindern, sagt sie. „Es sind Schweizer Kinder“ flüstert mir der Mann zu, „das ist wie 8h Gehzeit bei uns“.


Und auch Chloe bekommt ihre Grüße ausgerichtet.

Diese Hütte mag ich sehr! Genauso wie den ganzen Tag. Und den Abend.

Gute Nacht,

Eure Katharina



1 Kommentar

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Guest
Jul 30

Ich mochte den Mann ja schon immer! Was mich aber begeistert, ist, dass wir nahezu identische Klassiker kennen, aus denen wir adhock zitieren können. Dass er Verleihnix mit deinem Rucksack in Verbindung bringt, GENIAL! Genau mein Bildungsstandart!

Ich freu mich auf Tag 6 😍


Frau G aus N

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