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Tag 8 Salzburg – Triest: Auf leichten Wegen zum Hundsstein



Mittwoch, 07.07.21

Maria Alm – Hundsstein/Statzerhaus

Hm rauf 710, runter 50, km 5,5. Reine Gehzeit 2 Stunden 🙂


Heute ist der 07.07.21. Vor genau einem Jahr war ich beim Friseur. Und dann beim Zwetschgendatschi essen am Marienplatz. Und dann bin ich plötzlich losgelaufen, Richtung Venedig. Habe Hans und seine Frau kennengelernt, heute vor einem Jahr! Mein heimliches Ziel war es Kloster Schäftlarn zu erreichen. Und dann kam ich irgendwie viel weiter.


Und jetzt bin ich schon wieder seit eine Woche unterwegs auf der nächsten Alpenüberquerung. Viele fragen wie diese beiden Wege im Vergleich sind. Nun, objektiv werde ich das nie beantworten können, weil München – Venedig meine erste große Tour war und eine hohe emotionale Komponente mit dran hängt. Wenn ich es objektiv versuche dann fallen zwei Dinge sofort auf: Es ist so viel anstrengender. Und: Es ist es aber auch so sehr wert. Bereits in dieser ersten Woche jagt ein alpines Highlight das nächste. Und man könnte schon zu der Einschätzung gelangen, dass  es tatsächlich NOCH abwechslungsreicher ist, als eine Woche die Isar runterzulaufen (Rauf! Wie der Mann jetzt wieder einwerfen würde…) Vielleicht war das Hotel Edelweiß NOCH schöner als diese Pension in Geretsried, generell Berchtesgaden schöner als Geretsried. Andererseits hab ich die Dramaturgie schon sehr genossen, dieses sich langsam den Bergen nähern. Hier geht es sofort „nach oben“.  Hier stehen bereits  7.000 gelaufene Höhenmeter auf der Uhr, versus ein paar Hundert im letzten Jahr. Es gab es noch keine einzige Faschingsparty., dafür schon so viele Murmeltiere. Die Menschen sind überall nett. Ihr merkt, ich tue mir sehr schwer mit dieser Frage. Also: Es ist schon sehr, sehr, sehr schön diese Tour.


Nur gestern war hart und alles tat plötzlich weh. Sohlen, Knie, Oberschenkel gebrannt. Nacken, Schultern. Heiß. Alles schien gleichzeitig kaputtzugehen. Heute ist wieder alles gut, das Schwimmen, Eisessen und der freie Nachmittag haben gut getan. Ich freue mich trotzdem über die Entscheidung, den Tag heute massiv abzukürzen und mir so noch einen Dreiviertelten Tag Pause zu gönnen. Wichtigste Maxime heute lautet: Nix Neues erleben, ich hänge schließlich noch 2 Tage hinterher mit Schreiben 🙂


Nach dem Frühstück frage ich mich, wie ich eigentlich nach Hintermoos komme. Die Dame an der Rezeption druckt mir eine Gästekarte aus, mit der soll ich den Wanderbus vorm Billa nehmen und die Schwarzeckbahn sei damit sogar kostenlos.



Ich fühle mich jetzt wie ein echter Sommerfrischler, mit Gästekarte und einem Wanderbusfahrplan in der Tasche. Ich darf noch ein bisschen länger auf dem Zimmer bleiben, erledige ein für mich wichtiges „Terminabstimmungstelefonat“, (es gibt vielleicht bald großartige Neuigkeiten…) beantworte ein paar Mails, checke meine nächsten Reservierungen und gucke nochmal wegen der umstrittenen Etappe 10 und 11, was es für Alternativen gibt. Es gibt eine Hütte auf halber Strecke, die Weißseehütte. 2 x 4 Stunden durch den Schnee stapfen klingt machbarer als 1 x 8. Ich rufe an, sie haben noch alles frei, ich soll einfach kurz vorher sagen ob ich kommen mag. Wie das mit dem Schnee ist, frage ich. „Jo mei“ sagt der Wirt, „gestern homs welche gschafft zu uns. Die warn dann do!“ Ein Survivorship-Bias-Klassiker. Die die NICHT ankommen brauchen halt auch kein Zimmer. Sondern ruhen für ewig in einer Gletscherspalte…


Um 11:26 Uhr steige ich in den Wanderbus vorm Billa. Zwei ältere Damen, die ich gestern kurz getroffen hatte, Salzburg-Triest-Geherinnen Nr. – Ich hab den Überblick verloren – ich glaube 10 und 11 stehen auch hier. „Nehmt ihr heute auch den kurzen Weg zum Statzerhaus?“ Nein, sie brechen ab. Ihnen ist das echt zu anstrengend. Sie bitten mich oben Bescheid zu geben, dass sie nicht kommen, es ginge niemand ans Telefon. Na, ich kann es mal wieder versuchen.



Um Dreiviertel 12 schwebe ich in einer Skigondel nach oben. Hier mitten im Skigebiet, leichte Wege, es ist Barfuß-Schuh-Tag. 2 Stunden Gehzeit, nach insgesamt 3 Stunden bin ich oben, eine Stunde musste ich noch ein bisschen in einer Blumenwiese neben den Kühen herumliegen und in die Luft und die Berge gucken.



Man hat gesehen, dass das Statzerhaus im Nebel liegt, und hier war es sonnig und schön. Man kann bis zum Riemannhaus sehen, wo wir gestern zu Mittag gegessen haben, wo wir runtergekommen sind, den wirklich steilen Weg nach Maria Alm. Ich kann das immer nicht glauben, dass ich da GESTERN erst noch war und heute so weit woanders bin. Das erscheint jedes mal wieder so komplett surreal. Wie weit man kommt wenn man einen ganzen Tag lang geht. Oder sogar mal nur einen halben.


Das Statzerhaus liegt immer noch im Nebel als ich oben ankomme, aber es ist warm. Man kann noch gut draußen sitzen. Einchecken macht später die Tante, erklärt mir der Enkel des sehr alten (und etwas speziellen) Wirtes, der hier oben mit aushilft. Ob ich mir irgendwo ein trockenes T-Shirt anziehen kann? „Freilich. Da!“ und deutet auf ein Nebenzimmer. Ich gehe rein und stehe wo? Im Paradies! Es ist das Kuchenzimmer!! Alles ist voll mit Strudel und Aprikosenkuchen! Zwischen diesen wechsle ich meine Wäsche. Haben die ein Glück, dass der Herr Gesundheitsminister heute nicht mehr mit dabei ist. Alle die nach mir ankommen, ziehen sich auch dort um.


“Hinhocken und was trinken!“ befiehlt der Enkel. Wie es so is hier oben, frag ich. „Jo. Passt. Die E-Bikefahrer san a Problem.“ Warum? „Wei de olle hochnäsig san! Und dumm.“ „Alle?“ frag ich. Er überlegt kurz, dann nickt er. „olle!“


Ein junges Pärchen stellt seine E-Bikes ab und setzt sich an einen der Tische. Der Enkel erhebt sich, geht rüber, man spürt förmlich es gibt gleich Ärger. Was sie für Kuchen haben, fragt die Frau. „Marille und Topfen“ sagt der Enkel. „Topfen?“ fragt sie. „Ja Topfen!!“. „Was ist das?“ „TOPFEN!“ er spricht jetzt sehr langsam und laut. „Ja hab ich verstanden aber was ist das?“ „T.O.P.F.E.N. Jetzt buchstabiert er Topfen. Sie guckt hilfesuchend zu mir rüber. Ich schreibe schnell „QUARK“ in großen Buchstaben auf mein IPad und halte es ihr wie eine Lerntafel unauffällig hoch. „QUARK?“ sagt sie zu ihm in einem nun doch leicht vorwurfsvollen „sag das doch gleich“-Ton. Er guckt sie an „Was ist Quark?“ Jetzt buchstabiert sie Quark. Es könnte lustig sein, ist aber doch ein so schönes Beispiel wie man sich manchmal einfach auch nicht verstehen WILL. Der Marillenkuchen scheint keine Option zu sein. Nach längerem Milchprodukte-Fachvokabular-Geplänkel bestellt sie den Topfen/Quarkstrudel. Als er an mir vorbei geht zischt er nur verächtlich „E-Bike-Fahrer!“


Was es für Zimmer gibt, frag ich, in der Hoffnung nicht in ein Lager zu müssen, die Hütte ist ausgebucht, der Therapeut hatte keinen Platz mehr bekommen. David, der seit Maria Alm noch einen Kumpel dabei hat,  grad noch zwei stornierte Last Minute Plätze. Der Enkel zeigt auf ein Fenster. Also da oben, da schläft ja er. Das sei sein Zimmer. Dann hat der Opa ein Zimmer, das ist (er beschreibt mir ausführlich wo es genau liegt…), dann die Tante, die hat auch ein Zimmer. Dann noch das Bockzimmer. Und halt die Lager für die Gäste. Was ein Bockzimmer ist, will ich wissen. „Bock!“ sagt er. „Bock!! Also halt eine männliche Ziege. Ziege! Verstehst du?“ „Ja, durchaus (bin ja kein E-Bikefahrer!) aber warum heißt das Zimmer so??“ „ja net wegen was du jetzt denkst!“ grinst er. Ich frage nicht, was er denkt, dass ich wohl denke, gucke nur etwas ratlos. Er erklärt: „wegen dem Bock-Kopf!“ Aha. Ich beschließe, dass das jetzt auch nicht so wichtig ist und lasse es gut sein.


Plötzlich betritt ein nackter Mann die Stube?? Nein, nicht ganz. Er ist nur sehr sehr korpulent, so dass man den schwarzen SLIP den er trägt nicht sofort gesehen hat. Er hat einen weißen Oberkörper und einen sehr roten Kopf. Er setzt sich mitsamt seiner Unterhose hin, bestellt ein Speckbrot und ein Bier. Isst. Trinkt. Zahlt und geht wieder.

Die Tante / Wirtin kommt, jeder wird einzeln eingecheckt und zum Zimmer geleitet. Ich zuerst. Ich melde die zwei Damen ab. Sie ist dankbar für die Info, streicht sie durch. Dann gehen wir eine superschmale Stiegn nach oben. Das ganze Haus ist wie aus der Zeit gefallen, mit alten Bildern, dunklem Holz, aber gemütlich.



„Mogst du a Zimmer?“ fragt sie mich beim Hochgehen. Ja klar, lieber als ein Lager. Es gibt also doch Zimmer! Wieso sagt der Enkel das nicht?? Sie sperrt eine Tür auf zu einer winzigen süßen Kammer, es steht ein Doppelbett drin.



„Bleib ich da heute Nacht alleine oder kommt da noch wer dazu?“ frag ich. „Ja des entscheidest doch du!“ lacht sie und gibt mir den Schlüssel. Das ist jetzt wirklich SEHR perfekt. Vor allem als ich am nächsten Morgen erfahre, dass fast alle anderen in ein Lager eng an eng zusammengepfercht wurden. Eine weitere alleinwandernde Dame hat das andere Lager für sich allein bekommen. Ich hab den Eindruck, die Tante achtet auf die Frauen gut.


Als ich wieder runterkomme steht mein Rucksack auf der Bierbank. Häh?? Den hab ich doch GERADE EBEN hochgetragen? Bin ich jetzt ganz deppert? Eine rote Schleife hängt dran, der Rother Führer ragt hinten halb raus. Mein Rucksack! Eine Frau kommt dazu. „Ist das DEIN Rucksack??“ frage ich fassungslos. Gibts nicht, wir haben echt denselben. Und gehen beide bis Triest. Sie heißt Mira, arbeitet in Lienz, kommt aus Kroatien. Sie hat das ganz spontan beschlossen, und fand die Idee cool bis in ihre Heimat zu laufen. Da wollte sie den Sommer ja schließlich eh die Familie besuchen. Sie ist total nett, ich mag sie sofort.


Seit Tagen hab ich so Lust auf Spaghetti Bolognese, denke mir aber jeden Abend, nein, das kriegst du noch oft genug, iss was anderes, so lange es noch „was anderes“ gibt. Heute ist fast alles aus, es gibt nur noch Nudelsuppe, Brotzeit und, mit einem Neon-Post-it vorne reingeklebt, quasi die Tageskarte: Spaghetti Bolognese. „Vom eigenen Schwein!“ erklärt mir der Enkel, sie haben hier oben zwei. Es schmeckt so gut, wir sind eine nette Tischrunde, ich sitze mit zwei älteren Regensburgern am Tisch. Der eine, Franz, ist letztes Jahr bis Hermagor gegangen, im August geht er mit seiner Partnerin den zweiten Teil. Momentan ist er mit einem Freund für ein paar Tage unterwegs, er mag die Gegend so. Er kennt sich aus, wir blättern den Rother gemeinsam durch was es wo an Highlights gibt.


Plötzlich reißt der Nebel ein bisschen auf, die Sonne scheint durch und dann beginnt ein zweistündiges Schauspiel, von dem sich die meisten der 15 Gäste lange nicht loslösen können. Nebel und Wolken ziehen um die Berge, verändern laufend ihr Gesicht, stürzen sich die grünen Bergkuppen hinunter, steigen auf der anderen Seite wieder auf, geben Blicke auf Berggipfel frei um sie gleich darauf wieder zu verhüllen. Es ist magisch und wunderschön. In die Richtung wo ich weitergehen will, erscheint sogar ein kleiner Regenbogen! Wenn das kein gutes Omen ist!





Ich gehe um 20 Uhr in meine Kammer (und habe erstmals den Impuls von innen zuzusperren) und schreibe vom Bett aus. Plötzlich fällt goldenes Licht durchs Fenster hinein, direkt auf mich drauf. Ich springe auf und sehe aus meinem Fenster mit Premiumlogen-Blick den schönsten Sonnenuntergang der bisherigen Tour.




Was für ein leichter, unerwartet schöner Tag!

P.S. Als ich Nachts kurz raus gehe, geht im Gang das Licht an. Als ich schlaftrunken zurücktappe trifft mich fast der Schlag. Über meiner Zimmertür hängt was? Ein Ziegenbock… ICH bin im Bock-Zimmer 😂 Ein Bock-Kopf. Wieso sagt er das nicht gleich😂😂😂









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