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Traumpfad München – Venedig Tag 31. Der letzte Gipfel – hoch zum Antennenberg



Belluno – Berg Col Visentin. Hm rauf 1.466, hm runter 100, km 17,5. Wetter sonnig, mit ein paar kleinen Schattenspender-Wölkchen. Unterwegs von 9:30 Uhr – 17:30 Uhr, reine Gehzeit 6,5 Std. Unterkunft Rifugio Col Visentin.


Die Belluneser haben ein Haus-Berg, auf dem sie im Winter auch Skifahren. Den Col Visentin. Der ist recht hoch, man geht fast 1500 hm und fast 18 km bis man oben ist. Auf dem Berg sind lauter Antennen oben reingesteckt. Wenn man Angst vor Strahlen hat, ist das nicht der ideale Ort.




Hinter den vielen Antennen ist ein (sehr einfaches) Rifugio. Am Col Visentin kann man drei Dinge tun:


1. Zurückblicken. Unter uns Belluno, dahinter die Dolomiten und ein kleiner Teil der in den letzten Tagen zurückgelegten Gipfel und Bergketten. Das sieht alles so… hoch aus? Ich bin (mal wieder, gähn) ergriffen und schon wieder sehr nah am Wasser gebaut.



2. Vorausschauen. Man geht nur 5 Meter weiter das Plateau entlang und dann sieht man weit in die entgegen gesetzte Richtung. Nach vorne. Auf die nächsten Tage, die noch anstehen erlebt werden zu wollen. Es ist in bisschen diesig als wir ankommen, aber wir wissen, der blaue Strich am Horizont, das ist das Meer.



Meine nächsten Tage, immer der Piave entlang, liegen In 3 D vor mir. In sehr flachem 3D. Es geht immer geradeaus, bis man am Meer steht. Der Mann witzelt seit Tagen, ob ich da dann wohl umdrehe, und alles zurücklaufe, wie seinerzeit Forrest Gump. Fragt, ob ich wohl auch Tischtennisstar werde, den aktuellen US Präsidenten treffe und ihm den nackten Hintern entgegen strecke? Spontan würde ich glauben, nein. Zumindest das mit dem Tischtennis klingt unrealistisch. Aber wer weiß das heute schon. Forrest-Gump-ähnliche Werbeverträge wären natürlich cool 🙂 Aber bitte nix mit Sport. Eher Aperol und Eis, da könnte ich dahinter stehen. Und Polenta. Hinter Polenta stehe ich auch.


3. Schnaps trinken. Die Truppe, die das Rifugio hier oben führt, ist auch recht bunt. Die Chefin liegt im Liegestuhl in der Sonne, es ist ihr aber wichtig, dass wir wissen: Sie ist die Chefin hier, das wird von allen mehrfach betont. Sie trinkt den ganzen Nachmittag Aperol Spritz. Der hier oben nur 2,5 Euro kostet. Weniger als im Tal, da kostet er immer 3 Euro. Und es gibt meist bergeweise Chips und Oliven dazu. Ich glaube, ich kann mich nie wieder an diese Münchner Preise gewöhnen. Die Abende scheinen hier sehr lang zu sein, gerade im Winter, wo sie auch offen haben, wegen der Skigäste und Tourengeher. Als Zeitvertreib legen sie lauter lustige Dinge (Blumen, Tannenzapfen, Gemsenmilch, Salbeiblätter, Beeren, Wurzeln, Baumrinde…) in sehr große Einmachgläser ein, gießen Alkohol drüber, und gucken was passiert. Es sieht aus wie in einem Chemie-Labor. In jeder Nische der Wirtsstube tauchen immer noch mehr von diesen sehr großen Reagenzgläsern auf. Sie nennen das Labor „Bar“ und verkaufen die Glas-Inhalte als „Hüttenschnaps“ für 3 Euro.





Corona ist hier kein Thema, ein zweiter der dort „Ansässigen“ erklärt uns, diesen Virus gibt es gar nicht. Das haben sich die Regierungen ausgedacht um zu verhindern, dass wir das Haus verlassen. Warum? Das hat er noch nicht heraus gefunden. Ob ich denn nur EINEN kennen würde, der das hatte? Ich antworte, mehrere, schildere (völlig unterschiedliche) Krankheitsverläufe, von harmlos, einer hatte es kaum gemerkt, über schwer mit 4 Wochen Atembeschwerden und Geschmacksverlust bis tot. Einer ist gestorben. Es irritiert ihn nur kurz, dann beschließt er, dass die alle was anderes hatten. Weil es den Virus ja nicht gibt.


Die einzige, die sich hier um die Gäste kümmert ist „Dora“. Die ist wiederum supernett. Dora glaubt schon, dass es Corona gibt, trägt als Einzige den ganzen Abend Mundschutz und arbeitet aktiv an Lösungen. Sie hat beobachtet, dass ihre Reagenzglas-Mixturen vorbeugend sehr gut seien. Wir werden abends auf Nummer Sicher gehen, und das probieren. Jugend forscht. Doras Lieblings-Hüttenschnaps ist übrigens der weiße. Der mit der Gemsenmilch.



In unserem Zimmer stehen 2 Stockbetten mit je 3 Betten, der jeweilige Abstand zum oberen Bett bzw. der Decke somit sehr klein.  Man kann also wählen, ob man sich nachts den Kopf am oberen Lattenrost, oder an der Zimmerdecke anhauen will. Aber wir haben freie Bettenwahl und das Zimmer erneut für uns alleine. Die einzigen weiteren Übernachtungsgäste werden die beiden Studenten sein, die später eintrudeln. Es ist generell sehr wenig los, erzählt Dora, München – Venedig Wanderer gibt es dieses Jahr kaum, wir sind so ziemlich die ersten. Es ist wieder so ein schönes Beispiel für verzerrte Risikowahrnehmung, manch einer fand es, neben der Tatsache dass ich weite Teile allein gegangen bin, das „gefährlichste“ in dieses Italien zu reisen. Aber hier sind wir fast überall alleine. Ein München – Venedig Wanderer, der mich über Facebook kontaktiert hatte und am 8.8., dem offiziellen „Grassler-Start-Datum“ in München losgeht, erzählt er muss sein Zelt mitnehmen, weil jetzt im August alle Hütten in Österreich ausgebucht sind. Hier ist trotz Ferienzeit niemand, wir hatten zwei Wochen lang jeweils ein Lager oder Mehrbettzimmer für uns alleine haben kaum Menschen getroffen (Ausnahme war der „Spacko-Tag“)


Dora fragt, was wir zum Abendessen wollen. Es gibt Polenta mit Käse, hier in einer gebackenen Grillkäsevariation, und Polenta mit Pilzen. Die Polenta mit Hirsch sei aus. Polenta hatten wir ja schon zwei Tage nicht mehr! Wir nehmen beides, und teilen dann. Der Mann nimmt vorneweg noch eine Minestrone, ich hintenraus eine Tarta di Casa, Kuchen des Hauses. Mit Kirschen drauf.


Der Wandertag heute war meine „Berg-Abschluss-Prüfung“ ein letzter hoher Gipfel, der sich einem einfach so nochmal in den Weg stellt. Der Rother meinte, es seien 1600 hm, aber meine App kam „nur“ auf knapp 1500. Ich hatte ja die Tage vor Belluno den Eindruck, täglich unfitter zu werden, heute ging es super gut und hat v.a. so Spaß gemacht. Es ist so ein Unterschied, ob einem ein Gewitter im Nacken sitzt oder ob man weiß, man kann den ganzen Tag draußen sein und die einzige selbst gesetzte Grenze ist das mit dem „Einbruch der Dunkelheit“. Wir gingen um halb 10 Uhr erst los, stiegen am Domplatz in die spektakuläre Belluner Rolltreppe ein die uns runter zum Fluss „fährt“. Gut dass wir das gestern schon „geübt“ hatten. Es kommen erneut mehrsprachige Durchsagen man soll ja nicht überholen, sich am Handlauf festhalten, Kinder an die Hand nehmen. Das Kind vor mir will nicht von mir an die Hand genommen werden… Dazu dudelt unglaubliche Musik!




Belluno ist tapeziert mit „München – Venedig“ Schildern. Die meisten kürzen die ersten 800 hm zum Skiort Nevegal mit dem Bus ab, es geht lange nur an der Strasse entlang. Aber wir laufen, es ist ja wie gesagt „Bergabschlussprüfung“. Ja es ist lange „nur Strasse“ aber der Blick ist doch so schön!



Irgendwann kann man auf einen Waldweg abbiegen, da ist es schattig und ein bisschen wild. Die frisch epilierten Beine bekommen erste Brombeerstrauch-Kratzer! Als ich gerade unter einem den Weg blockierenden umgefallenen Baum durchkrabbel, seh ich am Boden eine schicke Rayban-Sonnenbrille liege. Ich rufe „nach oben“ „Hast du deine Sonnenbrille verloren?“ Aus weiter Ferne tönt ein „Ja!!“ Na so ein Glück! Kurz darauf sieht der Mann einen kleinen Hirschen. Bis ich oben bin ist er weg. In dem Skiort Nevegal machen wir in einer kleinen Bar Pause.


Dann geht es eine Skipiste hoch, nach einer guten halben Stunde kommt die Bar Grado, die, laut Rother, nicht immer offen hat. Aber heute schon! Wir werten das als „Zeichen“ und kehren wieder ein. Die Biergartenbänke sind Richtung „zurückschauen in die Dolomiten“ aufgebaut. Wir trinken schlechten Kaffee und essen einen eher mittelmäßigen Strudel, sind aber sehr vergnügt dabei. Aus dem Lautsprecher tönt die italienische Version von „Viva Colonia“.


Dann wird der Weg ein wenig… illegal. Darüber schweigen wir jetzt hier. Ich werde mal an Rother schreiben, dass sie vielleicht die legale Version auch in ihre App einprogrammieren sollten…


Ein sehr schöner, vergnügter Tag endet in Doras Anti-Corona-Labor. Die allerletzte Bergetappe ist gemeistert. Außer den beiden Studenten und uns ist niemand da. Mittels google-Translator haben wir irgendwann die Inhalte fast aller Gläser gemeinsam identifiziert. Plötzlich sagt sie, wir müssen schnell raus gehen – ein blutroter Mond steht am Himmel! Eine Viertelstunde später ist das Phänomen weg und der Mond scheint wieder „ganz normal“. Sie zeigt uns noch später noch viele Bilder auf ihrem Handy, Winterbilder, Schafbilder, Bilder wo man bei klarer Sicht wirklich bis Venedig sieht. Ich habe den Eindruck, sie ist gerne hier oben. Trotz der vielen Antennen.








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