top of page

Traumpfad München – Venedig Tag 20. „Salve“ statt „Servus“



Maurerberghütte – Schlüterhütte, 660 hm rauf, 480 runter, 16 km. Unterwegs von 9:15 Uhr – 15 Uhr, Gehzeit ca. 4,5 Std. (Abweichung von Originaletappe, diese wäre kürzer) Übernachtung Schlüterhütte


Der Mann weckt mich mitten in der Nacht. Er weiß, dass darf er nur wenn es WIRKLICH wichtig ist, z.B. es brennt. Ich weiß, dass er das weiß also höre ich mit einem halben Ohr zu als er sagt: „Du MUSST raus auf den Balkon gehen, JETZT!“ Draußen der überwältigendste Sternenhimmel seit Ewigkeiten. Der Peitlerkofel, unser erste Dolomitengipfel der uns gestern schon den ganzen Tag begleitet hat, ragt mächtig und gleichzeitig friedlich direkt vor unserem Balkon auf. Die ganze Szenerie ist magisch und wunderschön und es ist gar nicht so kalt, wie man vermuten würde. Ich würde hier wirklich gern ein paar Tage bleiben.


Aber am nächsten Morgen heißt es auf, auf, die Schlüterhütte ruft. Der Peitlerkofel liegt noch ein wenig in Wolken.



Da ich hier die Originaletappe ja halbiert habe und uns „nur“ ein 4 Stunden Tag bevorsteht (Claudio meinte sogar eher nur 3 Std.) mit wenig Höhenmetern, folgen wir seiner Empfehlung, den längeren und wohl viel schöneren Weg zu nehmen. Nicht direkt über die Scharte, sondern um den Peitlerkofel drum rum und von der anderen Seite zur Schlüterhütte kommend auf dem Dolomiten – Panoramaweg. Das wären ca. 1,5 Std mehr, mit knapp 700 hm hoch und 16 km auf Spazierwegen, somit immer noch eine „leichte“ Etappe. Und ob man um 13 oder um 14 Uhr auf der Hütte ankommt ist ja nun wirklich egal. Wir saßen um 8 beim Frühstück, es war klar wir kommen gut weg. Claudio hatte eine Frauen-Wanderkarte, auf dieser hat er mir den Weg gezeigt. Da konnte ich mir sehr gut vorstellen, warum das so schön ist und wo wir entlang gehen sollen! Sie war in 3 D und sie war „richtig rum“, also so wie man eh von unserem Standort auf den Berg draufguckt. Als ich sie stolz dem Mann zeige, flucht dieser: „Was ist das denn für eine Mist-Karte? Was soll das mit dem 3D? Und wieso ist die nicht eingenordet?“ Ich werde nie verstehen, was Männer immer mit diesem „Norden“ haben? Ist das sowas wie das Ende des Regenbogens? Gibts da was umsonst??


Auf der Rückseite war aber Gottseidank auch die „Männerversion“ aufgedruckt. Mit Norden und Höhenlinien. Wir werden also diesen Weg nehmen! Claudio wird am Ende des Tages klar auf Platz 1 im Hüttenwirte-Ranking landen. Er war eh schon nah dran in allen relevanten Kategorien (Kochkunst, Optik, Freundlichkeit, Gesamthüttenausstattung – und Leitung), einen kleinen Coolness-Abzug gabs für „Ich bin im Winter Skilehrer“, aber das hat er mehr als überkompensiert damit, dass er sich Zeit genommen hat und uns  diesen wunderschönen Weg ans Herz gelegt hat. Der ganz nebenbei mein „Meilenkonto“ für künftige Busfahrten wieder etwas aufgefüllt hat 😉 Mit dem Thema „Wetter“ geht er auch deutlich entspannter um als andere Hüttewirte. App 1 sagt Regen ab 14 Uhr, App 2 ab 16 Uhr. Beide sagen: Kein Gewitter. Als wir seine Fachmeinung anfragen lacht er nur und meint „Ach belastet euch doch nicht mit sowas wie WETTER!“ Haha. Wieder ein Punkt mehr im Ranking.


Als wir das Zimmer räumen und ich das letzte Mal vom Balkon gucke, sehe ich den 23 kg-Gepäck Mann hilfesuchend auf der Terrasse stehen. Ich winke, er ruft (mittelmäßig verzweifelt) „Kann man hier frühstücken?“ Ah, er hat schon wieder Hunger. Er war ja gestern nicht sehr erfolgreich mit „Essen auf Hütten finden“. Er erzählt dass er am Maurerberg gezeltet hat, es war wohl kalt. Er hat wieder nur Nüsse und Käse gegessen, er kann beides nicht mehr sehen. Er bekommt Kuchen zum Frühstück und wir laufen plaudernd zu dritt los. Im Laufe des Gesprächs wird klar, ich muss ihm seinen Nr. 7 Status entziehen. Er läuft nur bis Alleghe. Und er ist erst in Leggries gestartet. Zwischendrin fährt er ständig Taxi, dafür geht er auf irrelevante Nebengipfel. Sicher ein fitter und netter Typ, der aus immer noch ungeklärten Gründen 23 Kilo mit sich rumschleppt,  aber nur weil er einen München – Venedig Wanderführer mit in seinem überdimensionierten Gepäck hat (Noch dazu einen den außer ihm keiner kennt) nein, hier muss ich streng sein: KEIN München – Venedig Geher. Sorry. Wir tauschen uns über die letzten Etappen aus, ich kann nicht glauben was er erzählt. Die Glungezer – Hütte völlig überlaufen, die Leute mussten auf der Bierbank schlafen (es war die Nacht wo ich allein auf der Hütte im Wald wohnte), dort ein überfülltes Lager, überall zu viele Menschen. Ein Kumpel der eigentlich mitgehen wollte und nach 3 Tagen aufgegeben hat weil ihm das mit dem Wandern zu anstrengend wurde. Auf einer der schönsten Hütten, der Tutzinger war er dafür wieder nicht, da hat er dann ausnahmsweise mal gezeltet. Aber es war abschüssig und sein Kumpel ist die ganze Nacht auf ihn draufgerollt. Den Glungezer 7 Summits Höhenweg ist er gegangen, alles im Nebel und was für ein schwerer Bergweg, er war fix und fertig abends, v.a. Mental. Ich höre ihm zu und werde immer zufriedener. Ich hatte wirklich viel Glück und da wo ich aktiv entschieden habe, scheint es wirklich immer richtig gewesen zu sein. Flow halt. Ich hoffe er bleibt. Also der Flow.


Er will den „normalen“ kurzen Weg gehen und ggf. den Peitlerkofel noch besteigen, wir eben den Claudio-Dolomiten-Panorama-Weg. An der entsprechenden Weg-Gabelung läuft er trotzdem weiter neben uns her. „Na, Meinung geändert?“ fragt der Mann. Der 23 kg-Gepäckträger deutet wie hypnotisiert auf die direkt vor uns liegende Hütte:  „Mittagessen!“ Es ist 10:34 Uhr… Ich glaube er hat von dem gestrigen Tag irgendwie ein Trauma davon getragen. Und dass er sich SEHR gut mit den Geige-Studenten verstehen würde 😉 Die sind inzwischen 2 Tage voraus und schicken per SMS letzte Tipps für unsere Etappe. Z.B. Wo die größten Edelweiß-Felder zu finden sind. Sie sind schon über die Nieves-Scharte drüber, eine kleine „Respekt-Etappe“ für uns beide, die morgen vor uns liegt. Die wär schon ok gewesen meinen sie, es hätte „mega Spass gemacht“. Sagen Leute, die sich kopfüber von Brücken hängen…Ich beschließe meinen Respekt vor morgen noch ein bisschen zu behalten.



Es geht durch felsiges Grün weiter, immer wieder Abzweige zu Klettertouren, das scheint hier ein Kletterparadies zu sein. Am Würzjoch haben wir schon gesehen: ok, VIELE Autos, Motorradfahrer, ein beliebtes Sonntags-Ausflugsziel. Viele kommen uns mit Kindern und Hunden entgegen, jeder ist entspannt und gut drauf. Aus „Servus“ beim aneinander vorbei laufen wird immer häufiger „Salve“ oder „Buon Giorno“. Wir sind in Italien 🙂 Auf einer Karte sind die Klettertouren eingezeichnet, immer irgendwie „der kurze Weg“ steil die Wand hoch, mit unterschiedlicher Zahlen- und Namensgebung. Ich verbiete dem Mann Tour 10 („Liebesbetrug“), schlage stattdessen Nr. 6 vor („Hans guck in die Luft“). Er weist darauf hin, dass wir nicht klettern können. Na dann eben weiter auf diesem schönen Spazierweg. Kurz zuvor haben wir eine in den Weg eingelassene Markierung überschritten, die uns darauf hinwies, daß wir uns nun im Weltkulturerbe Dolomiten befinden.




Gegen Mittag erreichen wir den kleinen Gipfel „Göma“ und von dort ab beginnt der schönste Teil des Tages. Es wird für einige Tage das letzte Mal sein, dass wir von Spazierwegen, Blumenalmwiesen aus, nahezu ohne große Anstrengung so ein Dolomiten-Panorama genießen dürfen. Ich mache eine Milliarde Fotos und stelle doch jetzt fest, man kann es einfach so schwer einfangen, dieses mächtige, erhabene Dolomiten-Massiv und zeitgleich die lieblichen Almwiesen durch die wir schlendern. Der Peitlerkofel, der ja unser erster Dolomitengipfel war der uns begrüßt hat, ist jetzt zu unserer rechten (wir umrunden ihn schließlich!) links ziehen sich die Dolomiten den ganzen Nachmittag an uns vorbei. So viel Blick für so wenig Aufwand!!!




Die Hüttendichte ist immens, eine gemütlicher und mit noch mehr Panorama als die andere. Bei der Utia Vaciana Hütte schnappen wir uns einen Sonnenplatz, essen Kaiserschmarren und können nicht aufhören, in die Landschaft zu gucken. Von da aus sind es noch entspannte 1,5 Stunden bis zur Schlüterhütte, unser Tagesziel und es ist erst 13 Uhr. Das mit dem Regen scheint sich auch erledigt zu haben, war es morgens noch ein wenig bewölkt ist es jetzt strahlend schön. Hatte Claudio doch wieder recht, es macht GAR keinen Sinn über Wetter nachzudenken… Wir bleiben noch eine ganze lange Weile sitzen.


Um 15 Uhr sind wir an der schon wieder so schön gelegenen Schlüterhütte, bekommen schon wieder ein so süßes Doppelzimmer, sitzen da auf der Sonnenterrasse.





Ich trinke den ersten Hugo, man muss ja jetzt doch mal gucken, was die Südtiroler so erfunden haben. Das Essen abends schmeckt großartig, der 23 kg Gepäck Mann taucht irgendwann auf, setzt sich dazu. Er ist sehr hungrig. Die Hütte, die er um 10:34 Uhr aufgesucht hatte zum Mittagessen, hatte wohl die Unverschämtheit besessen ihm zu sagen, er sei ein wenig zu früh dran.  Es gab noch keine warme Küche, er bekam nur ein Käsebrot. Ich kann nicht aufhören zu lachen. Er hat aber lauter Bekannte getroffen auf dem Weg. Die Familie mit den drei Orgelpfeifen kam ihm auf der Friesenbergscharte entgegen, Der 8-jährige hat das mit dem Klettersteig wohl echt gut gemacht! Den Neonkasper hat er auch getroffen! Zu Beginn von dessen  „2-Etappen-Tages“ er hat wohl schon vor Beschreiten dieser stolz davon erzählt 😉


Abends sehe ich eine email von „YouTube“. Youtube schreibt mir, mein Channel „Traumpfad München – Venedig Sommer 2020“ hätte seinen ersten Abonnenten. Der Kanal ist komplett leer, ich werde das bei Rückkehr (vielleicht) befüllen. Ich hab jeden Tag 3,4 Minuten die Kamera mitlaufen lassen, es ist nicht besonders aufwendig das schnell zusammen zu stückeln und hochzuladen. Aber es ist genau das was mir jetzt Zuviel wäre. Das mit dem Schreiben ist genau in der richtigen Balance, es nimmt keine Zeit, in der ich sonst besser was Neues „erlebt“ hätte, es fügt sich genau in den Tag hinein und hilft mir ihn gut abzuschließen und ein paar der vielen schönen Momente zu konservieren. Ich fühle mich wie „Frederik die Maus“, die momentan lieber schöne Sommer-Geschichten sammelt, als Vorräte für den Winter anzulegen.


Das mit den Videos wäre jetzt „too much.“ Und trotzdem an dieser Stelle einen Herzlichen Gruss an  „Herrn Z.“, meinen ersten Abonnenten. Ich kenne Herrn Z., er sitzt in Paris! Herr Z: Vielen DANK, ich habe mich gefühlt wie eine internationale Bestsellerautorin, dessen neues Werk man sich schon VOR Erscheinen sichert. Etwas was ICH sonst nur bei Kluftiger-Allgäu Krimis mache, wo man genau weiß, ein literarischer Mindestanspruch wird gehalten 🙂


Morgen ist Schluss mit Almwiesen-Hopping. Da geht es direkt rein in die Dolomiten. Ausblicke müssen die nächsten Tage wieder härter erarbeitet werden. Der erste Klettersteig steht morgen an. Und, ein Novum: Die morgige 5 stündige Original-Etappe habe ich um 3 Stunden VERLÄNGERT. Weil wir gleich bis zum Grödner Joch wollen und aus verschiedenen Gründen nicht auf der eigentlich vorgesehenen Puezhütte bleiben werden. Das wird… spannend. 🙂


bottom of page