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Traumpfad München – Venedig Tag 24. Auf einfachen, aber schwer ermittelbaren Wegen nach Allegh



Rifugio Viel dal Pan – Fedaia Stausee – Alleghe. Eigentlich 24 km, davon 15 mit Bus. Bleiben gelaufene 9 km, 100 Hm rauf, 500 hm runter. Unterwegs von 8:30 Uhr – 13 Uhr, Gehzeit ca. 2 Std. Unterkunft Sporthotel Europa


München sei ein Dorf, so sagt man. Das hat es mit Alleghe gemein, dem kleinen italienischen Bergdorf, das unser heutiges Etappenziel darstellt. So zumindest der Eindruck, bei unserem 3 minütigen Rundgang durch den Ort 🙂


Es war sehr leicht hinzukommen, wir mussten letztendlich den Bus nehmen, aber es war alles andere als einfach, das zu planen. Wir haben es nur durch Zufall mitbekommen, dass der Weg nicht begehbar ist. Eigentlich wäre heute eine längere aber leichte 24 km Etappe, immer bergab, auf dem Plan gestanden. Erst vom Viel dal Pan den grünen Bergrücken Richtung blauem Fedaia Stausee absteigen, diesen entlang ans hintere Ufer, über eine Skipiste runter, dann durch eine Schlucht. Den Rest an einem Fluss entlang, zwar nicht unweit der Strasse, manchmal auch an dieser entlang, aber durch das eine oder andere nette Bauerndorf kommend. Ein längerer, aber leichter Tag.


Als die Tagesgäste gestern weg waren, bleiben nur eine Handvoll Übernachtungsgäste übrig. Man kann das immer an den Bergschuhen im Trockenraum ganz gut abzählen, unsere zwei Paar waren die ersten, dann kamen noch mal 3 Paar Bergschuhe dazu. Von zwei sehr jungen Frauen schnappt der Mann Abends auf, dass sie nicht wissen wie sie nach Alleghe kommen sollen, weil irgendwas gesperrt sei. Der Mann googelt ein bisschen und meint es sei die Serrai di Sottoguda die man nicht passieren könne, ein schweres Hochwasser habe dort große Schäden verursacht, ganze Straßen weggerissen. Allerdings war das im Oktober 2018. Viel neuere Infos lassen sich nicht finden – ich schließe daraus, das alles schon wieder gut sein wird. Als das Thema 2 Stunden später immer noch nicht geklärt ist, mache ich das, was ich am besten kann: Ich frage den Wirt. Der sagt erst, er weiß nicht ob man da durch kann, dann meint er auch, das wird schon gehen. Bestimmt sogar.


Es liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass der Wirt vom offiziellen München – Venedig Etappenende Nr. 17 nicht weiß, dass große Teile der Etappe 18, die vor seiner Hütte los geht, seit 2 Jahren gesperrt ist. Sowas KANN es nicht geben, bei aller südländischen Lässigkeit. Ich bin langsam genervt, dass der ganze Abend damit verbracht wird zu suchen, ob der Weg nicht doch gesperrt sei und es Probleme gibt, wo vielleicht einfach keine sind? Der Wirt hat doch gesagt, das ginge bestimmt schon irgendwie. Wenn er von keiner Sperrung weiß, dann doch weil da keine ist? Man findet keine Infos im Netz, außer Berichte zu dem großen Unglück 2018 und dass man den Wiederaufbau jetzt angeht. Das ist zwei Jahre her! So sah das wohl damals aus:



Andererseits bei Tripadvisor ein 2 Wochen alter Einträg, der klar berichtet, die Schlucht sei immer noch gesperrt. „Dann gehen wir halt schlimmstenfalls an der Strasse entlang!“ ist meine Meinung. Der Mann fährt das auf Google Street View ab, sagt das geht nicht. Wir müssten u.a. durch einen Autotunnel, ohne Gehweg, die Strasse stark befahren und super eng.


Nach Stunden des im Internet suchens, der rettende Einfall: Hatte jede historisch wichtige Persönlichkeit früher ihren „Vorkoster“ so hab ich doch meine „Vorgeher“! Ich schicke eine SMS an die beiden Studenten, die ja inzwischen zwei Tage voraus sind. Ein Hoch auf die Langsamkeit! Sie antworten kurz drauf mit einer entzückenden Sprachnachricht (ich werde sie für alle Ewigkeiten aufheben) Ja die Schlucht sei gesperrt und der ganze Weg zerstört, man kann da nicht gehen. Ne, durch den Autotunnel kann man auf keinen Fall gehen,  sie sind da irgendwie darüber geklettert, blutige und verkratzte Beine inklusive. Da sei kein Weg, sie haben sich durchs Gebüsch geschlagen. Sie versucht es positiv: Es sei doch mal ganz spannend, die Erfahrung, wenn da so gar kein Weg ist! Er ruft rein „LASST es einfach! Nehmt den BUS!“ Auch später der Weg am Fluss sei gesperrt, da müsse man auch an der Strasse gehen, das „ginge dann schon irgendwie und sei nicht ganz so schlimm wie das andere, Spass macht es aber keinen“.

Jetzt bin ich doch froh, dass der Mann immer alles 3 mal überprüft. Eine kleine „Europakrise“ habe ich als eigentlich überzeugte Europäerin trotzdem gerade. Es steht außer Frage dass „der Deutsche“ das eine Extrem des planenden und auf Sicherheit bedachten Handelns darstellt, der Südländer das Andere. Uns Deutschen täte so oft ein wenig Entspanntheit und Loslassen gut, v.a bei Themen die vielleicht nicht ganz so kriegsentscheidend sind. Alles hat einen Preis, auch das „immer auf Nummer Sicher“ gehen. Wir nehmen uns dadurch so viel Lebenszeit, Leichtigkeit und ja, auch Freude und Spontanität. Aber wäre es andererseits so schwer da oben einen Busplan hin zu hängen und den 4 Paar übernachtenden Bergschuhen zu sagen, dass sie nach Alleghe nicht direkt laufen können??? Wenn Hüttenwirte in Tirol mit ca. 50 Leuten Abends deren genaue Route abstimmen?


Nächste Aufgabe also, Busplan finden. In der Hütte gibt es wie gesagt keinen, eine deutsch – oder englischsprachige Info findet sich auf die Schnelle im Netz auch nicht. Der einzige der es weiß? Ein US Technologie-Gigant. Google. Nein, nicht indem er uns auf eine Seite führt wo das steht. Sondern Google selbst schlägt uns die Verbindung mit Öffentlichen vor, inkl. der richtigen (!) Abfahrtszeit. Falls jemand wissen will, wieso die so groß und mächtig sind: Deswegen. Weil sie Infos haben, die der Hüttenwirt nicht hat oder die ihn nicht interessieren. Infos, die dieses Jahr maximal 25 Leute weltweit abgefragt haben und sie halten sie trotzdem vor. Mich frustriert das ein bisschen. Wieso „wir“ in Europa sowas nicht hinbekommen. Wieso ich „in Amerika“ nachfragen muss, um die Busverbindung von einem italienischen Kaff ins Nächste zu erfahren. Ich hatte gestern Abend wirklich eine kleine „Europakrise“. Der Spagat zwischen deutscher Gründlichkeit und südländischer Lässigkeit schien mir gestern für einen Moment kaum überwindbar. Wieso kann man nicht nach 2 Jahren diese Schlucht mal aufräumen? Wenigstens ordentlich darüber informieren? Alternativen anbieten oder schaffen? Oder bin ich jetzt schon wieder „zu deutsch“? Wie kann es gelingen, dass wir all unsere nationalen Besonderheiten besser zu einem guten Ganzen zusammen führen? Und alle zusammen ETWAS offener gegenüber Technologie werden? Es ist glaub der Punkt, der mir langfristig am meisten Sorgen macht. Wir sind so gut darin, Neues und Technik gerne abzulehnen. Dann machen es eben andere. Und wir uns wieder ein Stück weiter abhängig.


Gestern Abend tobte wieder ein unglaubliches Gewitter, mit so starkem Regen, Blitzen, immer wieder Blitze. Der Wirt meinte abends früh, wir sollen besser aus der Gaststube raus, hoch aufs Zimmer gehen, da sei es viel „sicherer“ als hier in der Stube. Da war er dann doch plötzlich sehr verantwortungsbewusst seinen Gästen gegenüber….(Er hätte auch sagen können, dass er Feierabend machen will, das wäre schon ok gewesen :-)) So sind wir also auf unser „sehr sicheres“ Zimmer rauf, haben noch ein bisschen Gewitter geguckt. Heute Morgen früh der Blick aus unserem Fenster: Rosa mit Blick auf den Fedaia Stausee (heutiges Beitragsbild) dann wurde wieder alles strahlend blau. Ich möchte mir das gerne als Metapher mitnehmen. Wir beobachten das seit Tagen: Wie schnell es dann immer wieder so schlagartig schön wird morgens, trotz dem vorabendlichen Inferno.



Wir laufen um halb 9 dem blauen Stausee entgegen, ein kurzer Blick zurück: Die Hütte lag wirklich unglaublich schön.




Wir sind um kurz vor 10 unten, sehen den „früheren“ Bus, verifizieren mit dem sehr netten Busfahrer nochmal die von Google gemeldete Abfahrtszeit 11:50 Uhr von der anderen Seite des Stausees. Wir könnten auch gleich mit diesem Bus fahren, beschließen aber, noch ein bisschen Zeit hier verbringen zu wollen und wenigstens noch auf die andere Seeseite zu laufen. Wir trinken einen Espresso auf der Terrasse und laufen dann die halbe Stunde am See entlang,  auf die andere Seite. Zwischendrin kommt ein kleines 1. Weltkriegsmuseum, da guckt der Mann kurz rein. Um 11.40 Uhr sind wir an der Bushaltestelle und kurz drauf sitzen wir im richtigen Bus, der uns ohne Umsteigen für 4,50 Euro pro Nase in einer guten halben Stunde nach Alleghe bringt. Der Busfahrer ist derselbe wie vorhin.


An der nächsten Station steigen die beiden jungen Frauen von der vorherigen Hütte ein, sie sind aus Karlsruhe und meine München – Venedig Geher Nr. 9 und 10. Sie wollten eigentlich trampen, aber es hat sie trotz viel Verkehr niemand mitgenommen. Sie erzählen von einem Kumpel der diese Etappe abgebrochen und alles zurück gegangen war, weil er genau da wo sich die beiden Studenten offenbar durchs Unterholz geschlagen haben, nicht weiterkam. Wir nutzen die halbe Stunde Fahrzeit zum Austausch, sie haben ganz andere Dinge erlebt, fanden ganz andere Etappen toll bzw. furchtbar. Es scheint schon immer sehr viel an diesem Wetter zu liegen. Eine meiner Lieblingsetappen, die vom Pfitscherjochhaus nach Pfunders, fanden sie die Hölle, eine der beiden erzählt, sie hätte danach den ganzen Abend geweint. Der 23 kg Gepäckträger Mann fand auch die Gliederscharte an diesem Tag „das Schlimmste“. Ich hatte da ja Jubelchöre oben, von „Profis“, studierten Musikern!! Die haben vermutlich allen Schmerz ausgelöscht.  Und diese Kälbchen-Herde die von allen Seiten auf mich zu lief. Und wieder so viele Murmeltiere. Und den Geißbock mit der lustigen Frisur der meine Bergschuhe so toll fand. Sonst fanden die beiden das Karwendelhaus und die Leute dort am coolsten (ich ja nicht…) Ich bin übrigens bislang die einzige, die nicht mit Karwendeltaxi Mayr die Birkarspitze umgangen hat, sondern durch beide Täler gelaufen ist. Die Geschichte finden die beiden jetzt wieder schräg. Sie erzählen, wie auch schon der 23 kg Gepäckträger Mann, von überfüllten Hütten und Gästen, die vom Wirt sogar weggeschickt wurden. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht doch seit 3 Wochen in einer Eisdiele in Bad Tölz sitze und mir das hier alles ausdenke 🙂 Wie können die Geschichten sonst so abweichen?


Mittags sind wir im sehr beschaulichen Alleghe, können im Sporthotel Europa schon in unser Zimmer, mit Balkon und Seeblick. Der ältere italienische Herr an der Rezeption stellt die beste aller Fragen: „Sind Sie zu Fuß hier?“ Vermutlich will er einfach nur wissen, ob wir einen Garagenstellplatz brauchen, ich aber strahle ihn an und sage „JAAA!“ er schlussfolgert richtig: „Etwa von München aus gestartet und alles bis hierher gelaufen?“ „JAAAAA!“



Wir haben jetzt einen ungeplanten Nachmittag frei, der Ort gibt nicht so wahnsinnig viel her. Eigentlich „bräuchte“ es den zusätzlichen Pausentag morgen jetzt gar nicht. Aber so ist es halt gebucht. Hab ich Zeit ein bisschen zu schreiben und die restlichen 2 Wochen müssen auch langsam durchgebucht werden, ich hatte bislang nur bis kurz vor Belluno gebucht. Nur das mit dem Baden wird glaub schon wieder nichts, der See und vor allem der kleine Strand an der Strasse sehen nicht sooo einladend aus…Irgendwie badet dort genau… NIEMAND.


Wir geben nahezu unsere komplette Wäsche ab, einmal alles waschen 10 Euro und gehen zum Markplatz ein Eis essen.



Dort sitzt es sich wirklich gemütlich, direkt unter dem Kirchturm.



Alles ist winzig, die Häuser alle mit bunten Blumenkästen dekoriert. Aperol Spritz gibt es auch. Stunden später fällt dem Mann auf, dass die Eisdiele gleichzeitig auch eine Pizzeria ist!! Abends sitzen wir da immer noch, essen wirklich großartige Pizza, trinken ein bisschen Wein der diskret im Milchkännchen serviert wird und genießen den ersten lauen Sommerabend der Reise. Was 2.000 Höhenmeter Differenz temperaturtechnisch so ausmachen…







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