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Traumpfad München – Venedig Tag 4. Bergetappe, 1.Hütte und oben ist … Fasching?



Tag 4: Lenggries-Arzbach-Tiefentalalm-Tutzinger Hütte.

19,5 km, 890 hm hoch lt. Rother, laut App 1358 (??) hm und 210 hm runter. 8:45 Uhr bis 15:30, Unterkunft Tutzinger Hütte, die erste Hüttenübernachtung. Sonne, Sonne, Sonne.

Ha! Da hab ich die Kirchenglocken aber mal sowas von ausgetrickst, ich bin VOR Ihnen aufgewacht um halb 7. Das ist ungewöhnlich, v.a. Weil ich momentan erst gegen halb 2, 2 Uhr nachts das Licht ausmache, ich war aber putzmunter. Irgendwie brauche ich seit Tourbeginn viel weniger Schlaf. Aller Schmerz von gestern Abend ist wie weggeblasen!

Es gibt 3 Möglichkeiten zum heutigen Tagesziel Tutzinger Hütte zu kommen. Die „Normal-Etappengeher haben schon 2 Stunden von Bad Tölz hierher in den Knochen, eigentlich empfiehlt jeder Wanderführer daher die Gondel zum Brauneck zu nehmen, die steilen und schweißtreibenden 2 Stunden auf 12 Minuten abzukürzen um den Gipfel zu erreichen. Von da geht dann die technisch sehr anspruchsvolle Route über die Achselköpfle, die bei Gewitter und Regen dringend nicht begehen werden sollte, eine stark ausgesetzte Gratwanderung auf der sich wohl die Gedenktafeln aneinander reihen von Wanderern, die dort schon vom Blitz getroffen oder bei Regen an den dann spiegelglatten runden Felsen abgestürzt sind.


Es sind Gewitter ab Nachmittag gemeldet, mein Bruder nimmt mir 2 Tage vorher das Versprechen ab, dort auf keinen Fall zu gehen wenn auch nur ein winziges Prozent Gewitterwahrscheinlichkeit für die nächsten 4 Stunden angekündigt ist. Mein Freund hat mir dasselbe Versprechen schon vor 2 Monaten abgenommen. Also die Variante ist für heute einfach gestrichen, obwohl sie wohl von den Ausblicken eine der schönsten Touren der bayrischen Voralpen sein muss.


Es gibt eine kleine Umgehung die sich dann am Grat teilt, aber auch hier kommen zusätzlich zu den 500 hm, die das Gratgeturne da oben hat ggf. 800 hm vom Tal hoch. 1300 hm als erste Bergetappe trau ich mir einfach nicht zu nachdem es gestern in der Ebene schon so mühlselig ging. Also doch die Gondel und die Umgehung, ein leichter 500 hm Tag zum Einstieg? Irgendwas sträubt sich in mir. Ich gehöre zwar nicht zu den Hardcore-Puristen, die wirklich jeden einzelnen Meter selbst gegangen sein müssen, ich hab durchaus den einen oder anderen Busfahrplan runtergeladen, der auch mal einen langen Tal-Hatscher neben einer stark befahren Strasse bei strömendem Regen am Nachmittag abkürzen kann. Ich weiss, ich hab immer ein „hab mich Irgendwo mal verlaufen“-Kontingent, aus dem ich km gedanklich umbuchen kann ;-))

ABER: Den ERSTEN Anstieg in die Berge, diesen so selbstverständlich zu gondeln wie es alle zu tun scheinen? Irgendwie passt das gar nicht. Da läuft man zu Fuß bis an die Berge um dann als ersten Zustieg hochzufahren? Ich guck nochmal auf meine Wetter-App, die mir zwei Wochen vorher von einem Bergführer empfohlen wurde (die von BergFex). Um zu sehen wie das Wetter WIRKLICH wird, muss ich erst noch 1,99 bezahlen. Dann aber: Gewitter 17 Uhr. Ok, also doch Gondel?

Es gibt da noch eine Variante, die immer nur „der Vollständigkeit halber“ erwähnt wird, und die löst gleich alle meine morgendlichen Probleme auf einmal:

1) ein bisschen ein schlechtes Gewissen wegen den abgekürzten 4 km gestern habe ich inzwischen doch. Hätte ich in dieses Auto nicht einsteigen dürfen? War das geschummelt? Ich sehe die Presse mich zerreißen, Titelüberschriften auf allen Zeitungen: „Frau Ehrhardt, zwar ewig unterwegs, aber NICHT nach Venedig GELAUFEN!“ Und diese Variante geht fast genau dort los, wo ich gestern auf der Strasse eingesammelt wurde, ich muss da also erst wieder hin zurück laufen, was ich heute morgen eine grossartig Idee finde.

2) Es ist mit „nur“ 890 hm ausgeschrieben, ungefährlich, zwar von den Ausblicken nicht so spektakulär aber eben eine gemütliche Alm-und Wiesenwanderung die einen

3) auch bei Regen höchstwahrscheinlich nicht umbringt.

Das ist doch perfekt!?

Ich lass mir vom Wirt des Hotel Altwirts noch schnell erklären in welche Richtung ich muss (ich wäre wieder exakt in die gegengesetzte gelaufen, was stimmt denn mit mir nicht???) und laufe um, Trommelwirbel, 8:45 Uhr in Lenggries los! Einen wunderschönen Weg zurück nach Arzbach, den hätte ich gestern vor lauter Erschöpfung gar nicht mehr wahrgenommen. Die Vögel bejubeln meine Entscheidung und ich lauf durch eine morgendliche akustische Laola-Welle aus Gezwitscher. Es ist die Originaletappe, die auch Ludwig Grassler vor über 40 Jahren erstmals gegangen ist. Ich werde von dieser noch sehr oft, freiwillig und unfreiwillig, abweichen, zeitlich sowieso, aber auch geographisch. Aber dieser erste Weg ist Original! Mein Bruder schreibt später, jetzt weiß er wo ich gehe, er hat mal wem geholfen den Weg mitzubauen. Das kann einfach alles nur gut werden heute.

Andere werden den Weg später auf der Hütte als Highlightarmen Forstweg, wo es sich nicht mal gelohnt hat die Kamera auszupacken, beschreiben, ich bin von Minute 1 an beschwingt und erhaben durch dieses „sich jetzt aber wirklich dem Berg zu Fuß nähern, an freundlichen Kühen vorbei die sich streicheln lassen, rechts neben mir ein Bach der mich lange begleitet und den Weg weist (DANKE) und viel Wald. Es ist erneut sehr heiß und ich dankbar um den Schatten. Von den vorabendlichen  Schmerzen in Knien, Sehnen und Rücken ist einfach alles weg. Der Rucksack bleibt trotz 3 Kilo weniger so schwer, aber ich hör da jetzt mal auf zu jammern. Das ist einfach eine schwere zähe Masse, die sich wie so ein Saugnapf am Rücken festkrallt und ihn permanent zu schwächen versucht. Er ist immer schwer, ich glaube langsam unabhängig davon was drin ist. Die Steigung jedoch ist für mich perfekt gleichmäßig, ich komme echt gut und vergleichsweise zügig voran. Vielleicht sind das meine Bergschuhe, die jetzt eine Woche Laufpause hatten und endlich los wollen?

Gegen 11 Uhr mache ich auf einer Bank im Wald Pause. Kurz drauf nähert sich eine drahtige sportliche Dame, sehr klein und zierlich, die aber so komisch geht, der Oberkörper ist fast im rechten Winkel nach vorne übergebeugt, Hat sie ihre Brille verloren? Ist sie auf Büßertour? Nur wohin? Venedig kann es nicht sein, sie trägt einen riesigen Rucksack, ihr Ziel  muss mindestens Nepal sein. Sie lässt sich neben mich auf die Bank fallen „Dieser Rucksack bringt mich um, und ich muss ihn noch bis Venedig tragen. Ich bin Veganer, habe von meinen 30(!!!) veganen Riegeln, die ich dabei hatte 13 schon zurück geschickt. Diese Hütten bieten ja nichts für mich zu essen an. Warum müssen in Nudeln Eier drin sein?

Ich muss spontan an diesen alten Witz denken, „woran erkennt man einen Veganer?“ „Er erzählt es dir.“


Sie erzählt weiter sie sei mit 16 Kilo gestartet, jetzt sind es 16kg – 13 vegane Riegel. Kamera mit 2,5 Kilo ist auch dabei. Ich fühle mich plötzlich so … minimalistisch. 16 ist ja echt bekloppt und ihr Rücken, ihre Hüfte sind ungefähr halb so schmal wie meine.

Wir gehen ein Stück gemeinsam und reden über alles mögliche. Auch sie hat der gestrigen Tag alle Kraft gekostet, sie sagt sie wäre abends fast heimgefahren. Scheins lag das in der Luft. Ich laufe ein bisschen vorweg und warte dann an einem Fluss.. Ein Marienkäfer setzt sich auf den Stein vor mir, ein Glückskäfer? Als ich gerade die Kamera zücken will, fliegt er auf. Um sich direkt auf meinen Rucksack zu setzen, das passt farblich auch viel besser! Er sortiert nochmal seine Flügel und lässt sich von mir ablichten.

Hier kommt mir ein verwegener Gedanke! Wir machen jetzt mal den Magen-Check und füllen die Trinkflasche an genau diesem Bach auf! Mutig, ich weiß. Es schmeckt köstlich. Den Rest der Tour trinke ich von genau diesem Wasser.

Der schönste Moment des heutigen Tages ist, als wir plötzlich aus dem Wald rauskommen und vor uns die mächtige Benediktenwand aufragt. WOW. WOW. WOW. Jetzt packt sogar die Veganerin ihre 2,5 Kilo Kamera aus und wir machen Pause. Wir stehen vor der Tiefentalalm, und schon wieder überall so freundliche Kühe. Der letzte 400 hm Anstieg ist dann echt steil. Aber auch der ist irgendwann geschafft. Als ich oben auf meine App gucke kann ich es nicht glauben: Über 1300 Hm. Na wie gut dass ich die andere Tour nicht gegangen bin weil mir 1200 zu viel waren ;-)) Mein Bach-Wasser scheint mir zu bekommen, ich fühle mich selbst oben noch voller Energie.  Wir sind gemeinsam schneller gegangen, als ich es allein getan hätte, sie wirkt wie ein Typ der sich schon ziemlich selbst antreibt. Ich habe heute gelernt, man kann auch mal weiter gehen und muss nicht jede Blume fotografieren. Umgekehrt sagt sie oben zu mir: „War das schön, dass wir da zweimal Pause gemacht haben. Das mache ich sonst nie! Man ist danach ja so erholt und oben nicht so fertig.“ Glaub wir sind da beide an den jeweils extremen Enden angesiedelt, ich die körperliche Anstrengung soweit als möglich versucht zu vermeiden, sie den Müßiggang. Vielleicht finden wir beide ein bisschen mehr Richtung Mitte.

Der zweitschönste Moment – Die Ankunft an der traumhaft schön gelegenen Tutzinger Hütte, ein Wirt der einem gleich eine Buttermilch und ein Wasser hinstellt, es ist kurz nach 15 Uhr, das bedeutet, wir haben für  den Aufstieg genau die ausgeschriebenen Zeit gebraucht, 4 Stunden ab dem Wanderparkplatz, trotzt einiger längerer Pausen. Ich liege noch fast 2 Stunden auf der Bierbank in der Sonne, vor mir das riesige Steinmassiv das aufragt. GENAU so habe ich mir meinen Berg-Sommer vorgestellt!

Irgendwann frage ich nach Dusche und Lager. Bzgl. Dusche meint er, die sei geschlossen, aber draußen sei ein Bach, darin könne ich machen was ich will. Ich glaube er wollte einen Witz machen, ich aber packe mein Handtuch und meinen Bikini, laufe mit meinen Trekkingsandalen das Bachbett entlang (Stand heute: Richtige Schuh-Entscheidung), suche die „beste“ Stelle  und erfrische mich im eiskalten Bach. Danach fühle ich mich wirklich wie neu geboren. Ich denke an Heraklit der meinte, das man niemals in den selben Fluss steigen könne, sowohl der Fluss als auch du haben sich danach verändert. Endlich verstehe ich diesen alten Philosophen! Um 17:20 Uhr kommt das Gewitter, aber sowas von. Es duscht 2 Stunden ununterbrochen wie aus Eimern, begleitet von Donner und Blitzen. Was Philipe wohl grad in seinem Zelt macht?

Es ist meine erste Nacht der Tour auf einer Hütte, die eigentlich eine Schützhütte ist. Und dann gleich so ein Gewitter. Ich drinnen, das Gewitter draußen. Ich fühle mich sehr beschützt, sicher und glücklich. Ich bekomme ein 12-er Lager, in dem er nur mich und eine weiter Dame unterbringt. Sie heißt Christl, ist seit 2 Jahren pensionierte Psychologin die mit Drogenabhängigen gearbeitet hat. Wir haben den ganzen Abend nur interessante Gespräche, so eine ausgeglichene, in sich ruhende, freundliche und interessante Person.

Neben uns sitzt ein – äh – Faschingsverein?? Mit bunt verkleideten Hüten, viel Sekt (lieblich) von dem sie uns großzügig anbieten, einem Ghettobluster aus dem Schlager dröhnen und viel guter Laune. Das ist ja schön… Von außen betrachtet ist das nur eine schon ziemlich angedüdelte Partygang, aber einer nach dem anderen setzt sich her, und erzählt was. Im Einzelnen sind das lauter nette Jungs.

Einer, der Franz,  fragt mich, mit Blick auf mein IPad: „Bist du so a Influenzer?“

„Ne ich schreib nur gern, aber es beeinflusst niemanden.“

„Wieviel Follower host denn du so?“ „5. Mama, Papa, mein Freund und ein Exkollege, der fehlende Kommas sucht. Weißt du eigentlich was die Mehrzahl von Komma ist?“

„Kommas?“

„Falsch!“

Er lenkt ab: “Des warn jetzt aber nur 4“

“Ja am ersten Tag hab ich den Hans und seine Frau kennen gelernt, glaub die lesen seitdem auch.“


Der Nebenmann schreckt von seinem Weißbier hoch: „I hoas a Hans!“

Na so ein Zufall. Franz meint noch, 5 Follower seien doch eine gute Zahl, das ließe sich ja noch managen. Er schenkt Sekt (lieblich) nach.

Und dann erzählt er, wie er mal fast Faschingsprinz geworden wäre, was sie heute eigentlich feiern, nämlich das hohe Fest der„Maschkera Sonnwende“ die eigentlich exakt in der Mitte vom Aschermittwoch und 11.11. stattfinden sollte, die Terminfindung sich jedoch in der Praxis nach den freien Kapazitäten der Tutzinger Hütte richtet. Das sie normalerweise 2 Tage feiern, aber wegen Corona niemand Partys möchte, jetzt sind sie wenigstens für einen Tag gekommen.


Ein weiterer aus der Gruppe, ein ehemaliger Hüttenwirt setzt sich zu uns. Er hat mit 50 aufgehört, „weil er die ganzen Veganer nimmer derpackt hat. Und die Deppn, die auch nicht! Die Veganer und die Deppn, des san die schlimmsten! Des is doch ok, wenn ich Leberkäs mit Bratkartoffeln auf der Karte hab und einer fragt freundlich ob er nur Kartoffeln haben kann, ich mach ihm so gern einen riesen  Berg Bratkartoffeln mit Zwiebeln und extra Majoran, ich bin Koch, davon wirst du schon satt UND es schmeckt. ABER SAG MIR NICHT ICH DARF SIE NICHT IN BUTTERSCHMALZ ANBRATEN! IN WAS DENN SONST?? Wieso ist denn dem sein Problem plötzlich meins?“ Ich versteh ihn ja ein bisschen. Und hab den Eindruck, er hat es wirklich versucht. Und ich verstehe jetzt auch endlich den Hinweis auf mehreren Hüttenwebsiten „Wir haben nichts für Veganer.“ Das steht da manchmal wirklich! Scheins sind noch andere Hüttenwirte davon genervt. Meine Veganerin sehe ich den ganzen Abend nicht mehr.


Irgendwann seile ich mich unbemerkt ab. Was war das für ein schöner Tag. Ich fühle mich stark und unbesiegbar! Ich habe heute aus Flüssen getrunken, in Bächen gebadet, die erste Bergetappe vergleichsweise locker, ohne Schmerzen und Ausfälle zurück gelegt. Und einen so lustigen Abend mit schönen Gesprächen gehabt. Lecker gegessen. Sekt (lieblich) getrunken. Schlager gehört.


Nur WLAN gabs keins. Nicht mal Handynetz. Auch mal schön.





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