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Traumpfad München – Venedig Tag 5. Regenetappe von Tutzinger Hütte bis Hinterriss



Tag 5: Tutzinger Hütte – Hinterriss: 24 km, 910 hm hoch, 1300 hm runter. Unterwegs von 8:30 – 17:15 Uhr. Regen, den ganzen Tag Regen. Unterkunft Abends: Hotel Post Hinterriss.


Schon wieder so gut und tief geschlafen und froh gewesen den Partyabsprung gestern geschafft zu haben. Die Jungs haben noch bis Mitternacht gefeiert, dann wurde es langsam ruhig. Um 6 Uhr (!!) bin ich wach, einfach so. Es regnet. Ich bleibe noch ne Stunde liegen. Um 7 Uhr regnet es immer noch.


Ich stehe auf, meine Mitbewohnerin Christl ist auch schon auf, wir frühstücken gemeinsam. Die Veganerin bleibt verschwunden, ich überlege kurz mir Sorgen zu machen, jetzt wo ich weiß, dass alle Hüttenwirte Veganer hassen? Hat da jemand nachgeholfen? Ich rede mir ein, sie ist bestimmt schon ohne Frühstück los,  sie hatte gestern noch gesagt, von dem morgendlichen Marmeladenbrot esse sie weder das Brot noch die Marmelade. Wäre zwar vegan, aber ungesund.


Heute steht die erste Etappe an, die ich nicht verkürzt habe, es ist auf dem München Venedig Weg die offizielle Etappe 4. Und das an meinem persönlichen Tag 5. Ich bin ganz zufrieden… Ich habe sie sogar verlängert, das Original sieht bis Vorderriss vor, ich will aber nach Hinterriss, 10 km weiter hinten im Tal. Dann ist die Bergetappe am übernächsten Tag nicht so lang. Ich gebe aber zu, sowohl den Busfahrplan, als auch das Angebot des Hotels, mich gerne abzuholen in der Tasche haben. Wir schauen mal, wie es mir später geht. (Sowohl Hans als auch Franz erklärten mir gestern, „den Schmarrn musst aber net latschen! Des is greislig an der Strassn entlang! Ruf den Wirt an, der holt dich! Is ganz a Netter!“)


Um 08:00 Uhr bin ich startklar. Das Team von der Tutzinger Hütte ist so unglaublich nett, trotz dem riesigen Stress. Sie sind erst zwei Jahre oben, die Vorgänger waren mehrmals mit genau dieser Hütte im Fernsehen. Wir machen noch ein Foto. Die Wirtin guckt mir fest in die Augen: „Du wirst auch echt harte Tage haben, aber da gibst du nicht auf, du gehst weiter oder du machst mal Pause und gehst DANN weiter, aber du gibst nicht auf, ok?“ „Ich versuchs…“ „Na, du machst das! Genau so!“


Vor der Tür, unterm Dach im Regen,  sitzen Teile des gestrigen Trupps und trinken…. Weißbier… Es ist 8:15 Uhr. Hans ruft mir vorwurfsvoll zu „He! Du warst gestern plötzlich weg und bist NICHT zurück gekommen!“ Franz, der neben ihm sitzt, antwortet statt meiner: „ Die is doch Influenzer! Die hot bstimmt wos schreibn müssn!“ Hans: „Dann hock di jetzt no her zu uns!“ Franz:  „Die muss doch no bis auf Venedig, die hot jetzt koa Zeit mit dir zum saufn!“ Der Mann ist gut! Wenn ich wieder zuhause bin will ich unbedingt einen eigenen Pressesprecher! Franz hat gute Chancen auf die Job! Ich winke nochmal, jetzt geh ich aber WIRKLICH los. Da stolpere ich über Mutter und Tochter die gerade ihre Jacken verschnüren: Die Mutter „du bist die, die nach Venedig geht, oder? Ich hab das vor ein paar Jahren auch gemacht, das war so so so toll. Ich würde am liebsten sofort nochmal mitgehen!“ Ich biete ihr an mich zu begleiten, einen erfahrenen Bergführer könne ich immer brauchen. Sie lacht, hat aber keine Zeit, sie muss zum Königssee, sie gehen den Maximilansweg, sind am Bodensee gestartet und schon 12 Tage unterwegs. Die Tour sei schon auch schön aber nichts war so schön wie München – Venedig.“ Sie gibt mir noch ein paar Tips, jetzt freue ich mich noch mehr, vor allem dass ich noch so am Anfang stehe und alles vor mir liegt.


Und JETZT gehe ich los. Es ist 8:28 Uhr. Ein sehr nettes Pärchen vorm Vorabend schließt sich an und wir gehen die ersten 2 Stunden gemeinsam, erstmal wieder 250 hm recht steil hoch, ich muss immer wieder auf diese so schön gelegene Hütte zurück schauen. Der Himmel hat nach den heißen Vortagen eine weiße Kühldecke zwischen uns und der Sonne eingezogen und sogar die Sprenkleranlage eingeschalten, ein leichter, kühlender Niesel, der rechtfertigt Regenhose und -Jacke anzuziehen, was das Gepäck gleich wieder um ein Pfund erleichtert. Wir plaudern uns zu dritt nach oben. Als wir den Sattel erreichen und die erste Kurve aus einem kleinen Wald auf eine Lichtung nehmen, steht er plötzlich da:


Keine 5 Meter vor mir! Mitten auf dem Wanderweg. Ein majestätischer Steinbock. Riesengroß und wunderschön. Was für eine Haltung! Ein wirklich magischer Moment. Wir gucken uns eine Weile an, er nickt mir aufmunternd zu (wirklich!) und steigt elegant nach links oben ins steile Gelände auf. Ich versuche mir seine Bewegungsabläufe zu merken, das probier ich später auch. Sieht sehr einfach aus. Ob er in seinem Steinbock-Blog wohl auch über unsere Begegnung schreibt? Ich werde es nie erfahren. Aber diese morgendliche Begegnung trägt mich durch weite Teile des Tages. Schon wieder so ein Glücksbringer.


Wir laufen an einem kleinen Grat entlang (ungefährlich), Nebelschwaden in der Ferne, es ist eine ganz besondere Stimmung. Wieso geht man sonst nie bei Regen? Als wir auf eine Fahrstrasse treffen, trennen sich unsere Wege, sie biegen Richtung Kochel, ich will in die Jachenau absteigen. Während wir uns verabschieden, tauchen die zwei Jungs auf, die gestern um 19 Uhr triefendnass  die Hütte mitten im schlimmsten Gewitter erreicht haben. Einer erzählt, dass nur wenige Meter neben ihm der Blitz eingeschlagen hatte. Mein Respekt wächst, ebenso wie mein Verständnis für den Mann zuhause, der sich wegen genau sowas seit einem halben Jahr Sorgen macht. Der weiß, dass ich dann oft nicht mehr die Kraft habe, nach einem 8 Stunden Wandertag nochmal eine Stunde zu rennen um schneller als das Gewitter zu sein. Ich verstehe langsam das Problem.  Gut, dass ich viele der Etappen anders „geschnitten“ habe um genau diese planmäßigen 9 Stunden Tage zu verkürzen. Aber ein paar bleiben. Ich nehme mir vor, noch genauer aufs Wetter zu schauen. Und dieses Konditions-Dings aufzubauen, das sollte ja hoffentlich jetzt eh passieren.


Wir steigen gemeinsam den Waldweg ein Stück ab, der bald wieder auf eine Forststrasse trifft. Hier kann man auf einer Forststrasse in die Jachenau, oder über „Waldweg sehr steil“ Ha! Das macht mir doch gar nichts, ich nehme natürlich diesen. Die Jungs die Forststrasse. 30 Minuten später habe ich mich verlaufen. Obwohl da ein Bach ist. Den hätte ich aber queren müssen, es ist alles nass und matschig, es ist kein Weg zu sehen, bzw. Ich steige von diesem etwas höher um den Schlammlöchern auszuweichen, folge einem anderen Weg und verliere dadurch den Ursprünglichen komplett. Trotz Bach. In den aber ständig verschiedene Seitenbäche reinfließen, ich kenne mich überhaupt nicht mehr aus. Die Rother App findet mich irgendwo im freien Gelände, der Weg wo völlig anders. Immerhin sehe ich jetzt, dass ich irgendwie über den Bach rüber muss, ich steige also alles wieder (durch den Matsch) runter, quere an einer anderen Stelle den Fluss, klettere eine nasse, steile Wiese hoch, rutsch ständig ab, aber – ein Hoch auf die Technik – irgendwann sind roter Punkt und roter Strich auf der App wieder vereint. Ein gut ausgebauter Weg (wo war der bitte vorher?) ein Schild, alles ist plötzlich wieder ganz einfach.


Von da aus ist es auch landschaftlich schön, immer am Bach entlang ins Tal absteigend, mit Nebelschwaden aber doch freiem Blick.  Ohne weitere Fluss-Überquerungen bin ich nach einer Stunde abgestiegen und erreiche einen großer Wasserfall. Bei heißem Wetter kann man dort in den Gumpen baden. An diesem mache ich Pause, heute ohne Baden, lese nochmal im Rother. Der sagt ganz klar: „Nicht die Forststrasse nehmen! Der andere Weg ist so viel schöner und abwechslungsreicher.“ Also doch alles richtig gemacht!

Noch 5 km bis Jachenau. Ich bin exakt in der Zeit vom Rother-Führer, das war die ersten Tage ja nicht so, langsam nähern wir uns an und das gibt mir Sicherheit. Nicht weil ich irgendeine Zeit schlagen will, sondern um die künftigen Tage besser planen zu können, wissend ob die Angaben für einen selbst stimmen oder nicht. An einem 4 Stunden Tag ist es egal wenn man 2 mehr braucht an einem 9 Stunden Tag halt nicht. Siehe obige Gewitter-Thematik.


In der Jachenau steht ein „Venedig“ Schild, das ist aber auch das einzig Gute. Es ist 13 Uhr rum und bislang waren der Tag und der Weg wirklich, bis auf den kleinen Matsch-Klettersteig, so schön. Auch die Mischung aus Gesellschaft und alleine gehen. Aber ab da ist die Beschilderung für den Rest des Tages eine Katastrophe. Wenn GAR KEINE da wäre wär es besser, dann würde man mehr in die Karte gucken, aber wenn nach links ein Wegweiser mit Aufschrift „Vorderriss“  steht, dann komme ich einfach nicht auf die Idee, geradeaus weiter über einen großen Bauernhof mit Aufschrift „PRIVATGRUND“ zu gehen. Nein ich guck dann auch nicht auf der Karte nach ob ich nicht vielleicht doch genau dort entlang gehen soll. Erst ne Dreiviertelstunde später stehe ich wieder vor dem Hof nachdem ich ewig den „falschen“ Wegweisern gefolgt war und sehe unter dem riesigen „PRIVATGRUND“ in winzigen Buchstaben stehen „Durchgang auf eigene Gefahr.“ Ich werde langsam sauer. Ich gehe vorsichtig über den Hof, der Rother sagt genau das müsse man tun, es fühlt sich an als würde ich bei Fremden durchs Wohnzimmer spazieren. Ein Bauer steigt auf seinen Traktor, jagt er mich gleich vom Hof? Und wenn ja wie? Durch lautes Schimpfen oder gleich durch Kopfschuss??  Ich frage ihn vorsichtig, ob es da wirklich lang geht, er nickt mürrisch. (Und wird sich abends am Stammtisch über die depperten Wanderer und insbesondere die blöden Münchner echauffieren. Stellt halt ein Schild auf, dann müsst ihr nicht 23 mal am Tag dieselbe blöde Frage beantworten. Oder verbietet den Durchgang. Aber so isses echt DOOF!)


Der nun „richtige“ Weg geht steil nach oben ich grummel so vor mich hin. An einem Punkt explodiert schier meine Jackentasche, was ist denn jetzt los? AH! Eine Sekunde Handynetz Verbindung, zig SMS und entgangene Anrufe kommen zeitgleich rein. Ich nutze den Moment und rufe schnell mal zuhause an, das (fast) alles gut ist. Plötzlich taucht was aus dem Nichts hinter mir auf? Eine Veganerin! Sie lebt! Aber wo kommt sie denn her? Und wieso ist sie hinter mir?? Sie erzählt, sie habe doch noch ein Marmeladenbrot gegessen und sei kurz vor acht los. Jetz hat sie gerade eine Stunde Pause in einem Gasthof in der Jachenau gemacht, die Zeit genossen und gut gegessen. Sie hat dieses „auch mal Pause-machen“-Konzept adaptiert, ist bester Laune – ich freue mich für sie. Sie hält vor jedem kleinen schwarzen Bergsalamander an „Guck! Das ist Nummer 21, ich zähle sie heute.“ Sie scheint Tiere wirklich wirklich zu mögen. Ab da verlaufen wir uns gemeinsam, sie mit einem 1000 Euro GPS Gerät, ich mit ner 10 Euro Rother-App. Ständig landen wir auf dem „langen“ Weg, die kürzeren stechen irgendwo heimlich im Wald weg, sind aber nicht ausgeschildert und auch kaum zu finden. Es nervt SO. Irgendwann beschließen wir auf der Forststrasse zu bleiben, jetzt sind es halt statt einer Stunde wieder 1,5 Std. Bis zum Ziel. Egal, ich will jetzt runter, mir reicht es sowas von. Der Regen wird stärker und ENDLICH haben wir den Risssattel, den höchsten Punkt erreicht. Jetzt geht es „nur“ noch runter, eigentlich macht mir das meist nicht viel aus. Aber es ist so steil, so nass, so glatt, viele rutschige Wurzeln säumen den Weg, man kommt nur langsam voran. Die Regentropfen auf der Kapuze, die ich den ganzen Tag meditativ fand, sind plötzlich „viel zu laut“, das Geraschel von der Goretex Jacke sägt an meinen Nerven, obwohl wir so steil gehen kommt diese Mist-Tal einfach nicht näher.


Als wir ENDLICH unten ankommen, spricht die Veganerin aus, was ich denke: „Schon ganz gut, wenn man sowas nicht allein geht. Es ist so schnell was passiert, das war jetzt mal wirklich steil und rutschig.“ Wir sind lauftechnisch doch ein ganz gutes Team, mit ähnlichem Tempo. Sie ist hier – wie es die Originaletappe vorsieht – im Hotel Post in VORDER-Riss. Ich im Hotel Post in HINTER-Riss (wer denkt sich sowas aus?) Das wären noch 10 km Tal-Hatscher. Es steht völlig außer Frage, dass ich auch noch einen km laufe. Die Etappe waren 17 km laut Plan, ich habe schon wieder über 24 „auf der Uhr“ plus die 4 aus Geretsried, ich kann mir locker einen 10 km Shuttle durch das olle Tal „leisten“ . Ich rufe im Hotel an, er verspricht in 15 Minuten sei jemand da. Ein netter älterer Herr hält direkt vor mir an und die nächsten 10 Minuten freue ich mich nur. Der „Wanderweg“ geht wirklich direkt an der Strasse, begleitet von zig Autos und Motorradfahren. Ne, das muss man ECHT nicht gehen. Auf der Fahrt überqueren wir klammheimlich die Grenze nach Österreich. Der Fahrer ist recht schweigsam, nur einmal deutet er auf einen uns entgegen kommenden weißen Bus „Münchner! Der is vorhin erst reingefahren ins Tal, jetzt fährt er wieder raus. Das ist das Problem mit den Münchnern, die wissn immer net was sie wolln. Die machn erst so und dann wieder genau anders.“ Aha. Ich verhalte mich still.


Er zeigt mir den Trockenraum, ich entledige mich meiner Regensachen und freue mich dann doch, das drunter wirklich alles trocken geblieben ist, nach einem Tag Dauerregen. Das ist schon mal gut! Ich erreiche die Rezeption, ein Engel steht dort und spricht lauter wundersame, fremdartige Worte, eines schöner als das andere! Der „AUFZUG“ sei da hinten, WHIRLPOOL UND SAUNA im Keller, auch dahin ginge dieser „AUFZUG“, ESSEN gibt es bis 20 Uhr, ob das ok wäre?“ Es ist – Dank des Shuttles – 18 Uhr. Ich nicke glückselig. Wieder eine richtige Entscheidung getroffen und nicht irgendnen albernen Ehrgeiz entscheiden lassen. Ich frage leise, ob ich auch Wäsche waschen könne, so in echt, in einer Waschmaschine? Sie nickt, „freilich, 5 Euro, brings mir runter, ich mach das für dich. Ich hängs dir dann vorm Trockenraum auf.“ Jetzt ist es klar, ich bin im Himmel! Ich überlege GANZ kurz ob ich möchte, dass morgen früh jeder durch meine Wäsche hindurch in den Trockenraum steigt, beschließe dann aber, dass das egal sein muss. Ich werfe alle hellen Sachen in eine Tüte und bringe sie ihr. Ich werde morgen so mit echtem Waschpulver gewaschene Sachen haben, nicht nur abends notdürftig im Waschbecken durchgespülte.


Dann will ich in die Sauna, komme aber am Whirlpool nicht vorbei, ein riesiges Plastikding, niemand da, 8fache Rückendüsen und überall Blubber! Der im Gegensatz zu diesen teuren Wellnesshotels nicht nach 2 Minuten aufhört und sich ewig nicht wieder starten lässt, es hört GAR nicht auf, bis man den Knopf nochmal drückt. Mein Rücken jubiliert, meine Beine ebenfalls. Ich stehe erst nach einer Stunde wieder auf, für einen kurzen Saunagang und dann: ESSEN 🙂 Es gibt Regenbogenforelle aus dem Risstal, mit Salzkartoffeln und Butter und Salat. Und eine Kugel Vanilleeis mit Kürbiskernöl.

Plötzlich kommt der nette ältere Herr, der mich abgeholt hat, in die Wirtsstube und ruft laut in meine Richtung: „Is des Ihr Wäsch die da unten hängt? Do die weiße Unterwäsch?“ ich versinke im Boden, das ganze Wirtshaus guckt interessiert in meine Richtung. Ich nicke und frage leise ob das stört, oder ob ich sie ins Zimmer hängen soll? „Na, gor net! Wollt nur dass Sie wissn:  Die hängt do jetzt! Is aber no net trockn!“

Ich blende den Gedanken aus, wie er das wohl ermittelt hat. Ich schreibe bis halb 3 Uhr nachts die Erlebnisse der letzten 2 Tage auf, finde aber die Funktion wo ich die Uhrzeit ändern kann, so dass ihr das nicht seht. Der Mann zuhause schimpft mich sonst  🙂

p.s. Bilder auf Facebook, ich krieg das hier nicht in vernünftiger Zeit und Qualität hochgeladen








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