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TAG 16 GTA - Gehen wie ein Walser

Freitag, 11.08.23

Rima - Alagna, Unterkunft Casa Prati (in einem Walserhaus)

km 11,2 - hm rauf 970 - hm runter 1150

Unterwegs von 8:30 - 17:00 // reine Gehzeit 5:30h



Tausend hoch - Tausend runter, so geht das ja jetzt schon mehr oder weniger die ganze Woche. Hab ich gestern noch geschimpft, warum das nicht langsam mal ganz leicht geht, verspricht der Rother für heute: „Ein neuer Tag - ein neuer Pass. Die Höhenmeter haben sich relativiert, sind zur Routine geworden.“ (das wäre ja toll…)

und weiter:

“Er geht wie ein Walser, sagte man früher, um die typisch weiche, rhythmische Gangart dieses Volkes zu beschreiben, dem auch noch so beschwerliche Gebirgsstrecken nichts auszumachen schienen.“


Das sind Vorfahren von uns! Deutsche, die sich aufgrund der besseren klimatischen Bedingungen hier ansiedelten, Rima, Corcoforo, Alagna usw. Hinterlassen haben sie diese unglaublich schönen Stein-und Holzhäuser, die bis heute erhalten sind und gepflegt werden.


Mein Ziel für die nächsten Tage ist somit klar: Gehn wie ein Walser. Leicht, federnd mit einem für alle klar sichtbaren „macht mir gar nix aus!“ im Gang.

Und zwar zackig. Weil heute Abend hab ich einen wichtigen Termin in Alagna. Da darf ich nicht zu spät sein, ein Bus kommt da um 19:45 an, mit Menschen aus Mailand drin. Da will ich mal gucken, wer da so aussteigt. Vielleicht gefällt mir ja wer. Die Berliner haben heute geschrieben, sie fahren jetzt ans Meer, die sehe ich auf der Route also leider gar nicht mehr. Von den „anderen“ brechen auch viele in Alagna heute oder morgen ab, einfach schon weil man von hier gut weg kommt. Oder auch wieder hin, wie die Passauer heute meinten. „Da können wir nächstes Jahr gut wieder einsteigen.“ Ich brauche also einen neuen Wandergenossen. Mal gucken, wen dieser Bus so alles abwirft.


Geschlafen hab ich so so gut und tief, da im größten Haus am Ort, das ich fast für mich alleine hatte. Der Wasserfall hat vor meinem Fenster gerauscht, ein italienisches Pärchen wohnt wohl noch da, aber die haben ja weder gestern Abend dort gegessen noch sind sie beim frühen GTA-Bergsteiger-Frühstück um 7:30 Uhr anwesend.

Ich weiß schon, was Danile aus der alten Mühle gestern meinte, als sie sagte, meine Unterkunft sei „völlig ok, hat alles was man braucht“ aber in ihren Augen halt nicht die Magie dieses außerhalb liegenden Wald-Rifiugios. Der Punkt ist, ich genieße das schon sehr dass es „halt alles hat was es braucht.“ Ein Zimmer für mich alleine, eine heiße Dusche und zwei Minuten zu meinem heutigen Einstieg.

Das Frühstück hat sich die letzten Tage echt verändert, gab es ja die ersten beiden Wochen fast nur Zwieback / Brot mit Päckchenmarmelade ist heute schon wieder Obst, Müsli, Trockenfrüchte, Nüsse, ein selbstgemachter Apfe-Muffin, Joghurt, Käse am Tisch. Den Muffin packt sie mir ein, den soll ich mitnehmen.

“ob sie das alles alleine managed, dieses große Haus?“ frage ich sie

“Nein, nein, ihr Mann ist gerade ein paar Tage in Alagna. Shoppen.“ Aha. Vermutlich der Leiter Einkauf… (Ich werde heute Abend in Alagna sehr überrascht sein, wie man dort länger als 12 Minuten shoppen kann…)


Die Morgenluft ist klar, das der Blick, als ich vors Haus trete:

Ich spaziere noch ein bisschen durchs Dorf und beim Einstieg treffe ich die beiden Bonner Damen, deren “magisches“ Rifugio sei ganz normal ok gewesen, sagt die eine. „Weit weg“ meint die andere. “Aber die Stockbetten haben diesmal gar nicht gewackelt.“ Aber auch hier keine Sicherung vorm oberen Bett…


Statt der Viertelstunde außerhalb Rima war es wohl doch eher eine halbe Stunde. Wir werden uns den ganzen Tag immer wieder sehen. Die beiden sind echt nett. „Ich wollte euch gestern in der Bar einladen, dann wart ihr schon weg, heute holen wir das auf der Hütte nach!“ Sie haben mir gestern sehr geholfen bei einer medizinischen Fragestellung, sie sind ja beide gelernte Krankenschwestern. Ich hab seit 5 Wochen, schon vor Beginn der Tour, einen eingezwickten Nerv oder sowas im Nacken. Dachte, das wird schon, und plötzlich hab ich mir voll die Sorgen gemacht, weil es gar nicht weg geht und morgens so Hölle weh tut, ob da was richtig kaputt sein kann und mich in 3 Wochen, wenn ich heimkomme, irgendein Arzt für verrückt erklärt, warum ich nicht früher gekommen bin. Ich hab da plötzlich so einen Halbgott in Weiß vor mir gesehen wie er ernst sagt „JETZT kann man da nix mehr machen…“ Mich ein bisschen reingesteigert. Aber sie haben mich fachmännisch beruhigt und mir 2 IBU verschrieben. Heute ist tatsächlich nur noch 10% vom ursprünglichen Dauerschmerz übrig.


Die erste Stunde geht schattig im Wald und es geht heute tatsächlich ein bisschen besser. Noch ist die Luft kühl und das Licht heute so milchig flirrend. Es ist total schön.



Als es sonnig wird, wird auch der Weg etwas flacher, so dass es weiterhin angenehm zu gehen ist. Auf einem Pausenstein treffe ich die beiden Passauer. “Und DUU hast echt noch zwei Betten in Peccia bekommen?“ ruft er von einem Felsen herab. „Wir haben es alle versucht, niemand hatte Glück.“ Lustig, wie dieser Berg-Flurfunk funktioniert. Ich hab die beiden seit Tagen nicht gesehen. Sie hören in Alagna auf, es war jetzt alles ausgebucht, sie finden nix und außerdem ist es ja fürs nächste Jahr ein so guter Einstieg. Weil man eben gut hinkommt.


Ja ich hab da noch zwei Betten in der einzigen, aber ausgebuchten Unterkunft. Eine italienische Wandergruppe hat fürs Wochenende alle Plätze geschnappt. Ich hatte nur nochmal per WhatsApp gebeten, ob sie uns nicht auf eine Warteliste setzen können, falls jemand doch storniert. Wir (ich) hätte(n) ein bisschen Respekt vor der langen Etappe 18 und wollten sie dadurch um eine Stunde verkürzen. „Wenn wir Schlafsäcke dabei haben und es uns nichts ausmacht können wir gerne bei ihnen schlafen, da wo sie, die Manager der Unterkunft, auch schlafen. Im O-Ton schrieb sie auf englisch „bei uns im Managerzimmer“ da stünden noch zwei Betten.“ Managerzimmer klang sehr angemessen, also habe ich dankbar zugesagt. Und dem Mann geschrieben, er soll unsere Schlafsäcke einpacken…


Der letzte Anstieg zum Colle der Mud, heute mit 2.324 m höchster Punkt ist soooo sanft flach. Liebe Schartenbauer auf der ganzen Welt, nehmt euch hier bitte ein Beispiel.

So geht das. Das muss nicht immer senkrecht sein!

Oben - eine große Schafherde. Wir haben ja neu gelernt, bisschen obacht. Die beiden Damen sitzen schon oben und geben Entwarnung: “Da unten sind die Hirten-Hunde UND der Hirte, alle friedlich auf einem Stein sitzend.“ Ich habe den heutigen Wettlauf gewonnen. Die langsamere der beiden und ich streiten uns nämlich immer, WER von uns beiden die langsamste ist auf dem GTA. Es ist ein Kopf-an-Kopf Rennen, bzw. Schleichen. Heute bin ich die letzte! Gewonnen.


Oben ist es schattig und ein bisschen windig und in 15 Minuten kommt das Rifugio Ferioli, das man schon sehen kann und das traumhaft in der Sonne liegt. Obwohl ich sonst tagsüber fast nix esse, bekomme ich GENAU jetzt richtig doll Hunger. Gestern Abend war es doch ein bisschen weniger als sonst. Perfekt. „Wir sehen uns gleich dort!“ sag ich und laufe runter.


Da sitzen „alle“. Team Königssee, die beiden Passauer, die beiden Damen knapp hinter mir. Ich esse Pasta Pesto und freue mich an dem Tag. Die Frau vom Königssee nähert sich, sie sitzen schon lange, brechen jetzt auf. Jaa, es gilt sich mal wieder zu verabschieden!!! Diesmal sogar mit Handschlag, ich glaub jetzt gilt es langsam. Gut, dass wir dieses Ritual seit 2 Tagen üben: „Mei Katharina, wir werden uns ja nicht mehr sehen, alles Gute dir!“ „Danke, für dich auch!“ Jetzt verabschiedet sich auch erstmals die Freundin. Ich nehme mir vor, wenn ich mal 60 bin will ich auch so fit sein! Und alle Jüngeren auf dem Weg neidvoll zurücklassen. Aber bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit.


Ab Alagna sind dann alle weg - Das höfliche Team Königssee biegt in die Schweiz, die Passauer heim, und die Damen überlegen einen Pausentag in Alagna zu machen. Damit wären die auch „weg“.


Ich hoffe sehr auf diesen Bus aus Mailand :-)


Der Abstieg ist dann doch mal wieder bisschen steiler, alle die ich dann doch nochmal auf dem Weg treffe meinen, „oh das geht heute aber schon in die Knie“ Ich finde es v.a. ziemlich heiß. Ich komme an einer Naturpool-Badestelle vorbei, aber die ist voller Schnacken und ich bin auch nicht ganz auf dem offiziellen Weg, also geh ich lieber weiter. Und kurz vor Pedemonte, da liegt sie in der Sonne, ein paar Menschen drumrum - meine heutige Badestelle!!!


Ein breitbeinig am Felsen liegender und sich sonnender Italiener ruft mir zu, da müsse ich unbedingt mal mit den Füßen rein, das täte so gut. Diese Szene ist empörend. Als ob man sich als Deutsche von irgendwem auf dieser Welt sagen lassen müsse, wo man am besten badet? Das ist unsere Spezialdisziplin.

Ich teste…das ist perfekt! Und nicht nur für die Füße. Ich krame meinen Bikini raus und bin kurz drauf drin, zwei kleine Wasserfälle plätschern links und rechts, das tut so irre gut nach diesem heißen Abstieg. Kurz drauf sind auch zwei Italienerinnen (kreischend - aber es ist überhaupt nicht superkalt nur erfrischend) drin und jetzt steigt auch der Herr von seinem Sonnenfelsen herab und traut sich ganz rein. Ein paar Hunde springen dazu. Es wird langsam ein bisschen eng aber man könnte auch sagen: Party.


Als ich mich auf einem Stein trocknen lasse, komme die beiden Bonner Damen runter! „Es ist herrlich kommt rein!“ Sie lehnen ab. Aber sie machen ein Foto, also geh ich nochmal rein, diesmal hab ich den Pool für mich allein. Das tut sooo gut! Das war echt ein Highlight heute. Die Badebilanz dieser Tour bessert sich langsam. Und - nachdem sie weitergehen, gewinne ich auch die Abstiegsetappe!

Nachdem die Sonne mich getrocknet hat, spaziere ich die letzten 15 Minuten nach Alagna, durch den kleinen Ort Pedemonte, in dem viele versucht haben zu übernachten, weil er auch so klein und süß ist, aber auch hier ist wohl am Wochenende alles ausgebucht. Die beiden Damen sitzen dort im Café. Na gut, geht der heutige Slowest-on-tour-Punkt doch an sie.


Ich hatte schon vor einer Woche reserviert und ein DZ in meiner Wunschunterkunft bekommen: Die Casa Prati in einem alten Walserhaus. Wenn ich schon nicht gehe wie ein Walser, dann schlafe ich heute wenigstens wie einer.



Und jetzt gucke ich mal, wo eigentlich diese Bushaltestelle ist…

6 Kommentare

6 Comments


Katharina Ehrhardt
Katharina Ehrhardt
Aug 17, 2023

Meine auch! Hab grad beschlossen in diesem zauberhaften Agriturismo wo ich gerade bin einen Pausentag einzulegen. Und - das beste: Meine Wäsche wäscht grad zum ersten Mal in 3 Wochen in einer Waschmaschine 😍

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Dörthe Kretschmer
Dörthe Kretschmer
Aug 17, 2023

Oh, diese Walserdörfer sind so schmuck! Vielen Dank für Deine tollen Fotos und Berichte! Wie lange braucht man eigentlich von München nach Alagna mit Öffis?

Guten Weg weiterhin für Dich!

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Katharina Ehrhardt
Katharina Ehrhardt
Aug 17, 2023
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Tja, öffentlich ist es schon eine Weltreise. Der Mann hat jetzt einen Gabelflug genommen München - Mailand Malpensa - Turin - München. Von Mailand kommt man dann je nach Anschluss in 4 - 7 h hin. Es gibt wohl außerhalb der Ferien auch einen Direktbus Mailand - Alagna, aber die haben ja den ganzen Sommer Ferien. Wenn man alles öffentlich fährt, also auch mit Zug nach Mailand, kommt man schon gut und gerne auf 12 h. Zum offiziellen Startpunkt Tag 1 am Nufenenpass kommt man von München mit dem 6:55 Uhr Zug Zürich- Airolo gut hin, dauert aber auch 7h.

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sabine
Aug 17, 2023

Jawolllll! Der Schlafsacklieferant!


was freu ich mich, dass du mal ein paar Tage nicht mit mit Zufallsbegleitung wandern musst, sondern deine "Lieblingsunterstützung" an deiner Seite hast. 😍


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Katharina Ehrhardt
Katharina Ehrhardt
Aug 17, 2023
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😂 Lieferando für Schlafsäcke. Inkl. Begleitung. Jawoll, Lieblingsunterstützung… Leider morgen schon wieder weg. Aber die Woche jetzt war echt schön…

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Ursi Ackermann
Ursi Ackermann
Aug 17, 2023

Eer kommt. Die meine deine die ganze Welt ist grad irgendwie in Ordnung. 🥰🥰

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