GTA Peccia - Rifugio Rivetti
Km 12,5 - Hm rauf 1.150 - Hm runter 430
Unterwegs von 8:00 - 17:00 Uhr, reine Gehzeit 7h
Ob wir den GRANDE GTA wandern, fragt eine aus der italienischen Wandergruppe beim Frühstück. Haha, das klingt gut! Das „G“ in GTA steht ja eigentlich schon für Grande, aber ich finde ja auch, man kann die Grandiosität dieses Projektes ja gar nicht genug betonen. „Si, grande GTA!“
Paola tischt ein großartiges Frühstück auf. Ob ihr Mann mit seinem Geschnarche uns sehr genervt hat? Und die Katze, die nachts einen Maus gebracht hat? Du lieber Himmel, was war denn bitte heute Nacht alles los? Wir haben tief und fest und so gut geschlafen. Da im Manager-Zimmer.
Das war mal ein wahrhaft magischer Ort! Und mitten auf der heutigen Etappe, man macht den ersten Schritt und ist schon weit gekommen.
Um 8 Uhr stehen wir auf der blauen Linie, vor uns liegt heute nicht ein Pass, nicht zwei Pässe, ganze DREI Pässe wollen heute erklommen werden. Gut, dass ich seit fast 3 Wochen dieses Pass-Passieren übe.
Napoleon war ein sehr weitsichtiger Mensch. Irgendwie wusste er, dass ich genau 223 später Jahre hier vorbeikomme und eine Brücke benötige, um zu diesen 3 Pässen überhaupt hin zu gelangen. Da hat er mir eine gebaut. Eine wunderschöne Steinbrücke, die sich fabelhaft in das Landschaftsbild eingliedert. Vielleicht als frühes Investment in die französisch-bayrischen Beziehungen. Der Mann murmelt etwas von wegen, das hätte er wohl eher wegen seinen Feldzügen gebaut. Aber das glaube ich nicht! Wir passieren sie ehrfürchtig. Eine Napoleon-Brücke aus dem Jahr 1800.
Und dann bleibt es den ganzen Tag schön, nicht nur wettertechnisch hält es (obwohl schon wieder irgendwer behauptet hatte, heute dreht das Wetter, wir kommen auf jeden Fall in ein Gewitter…) sondern vor allem landschaftlich. Dieser Tag ist schon wieder ein schreibtechnisches Nadelöhr, weil ich seit Tagen versuche, das angemessen in Worte zu gießen.
Das Wichtigste: Es war eine Traumtag-Highlight-Etappe. Und - ich lege mich heute, an Tag 18 bereits fest: Das heutige Rifugio Rivetti wird meine Lieblingshütte 2023 auf dem GTA.
Wir spazieren durch liebliches grün, steigen sanft auf, das erste Hochtal öffnet sich.
Weit entfernt sitzt jemand auf einem Stein. „Das ist eine Quantenphysikerin“ erkläre ich dem Mann. „Ach und das erkennt man woran genau?“ „gelbe Hose, rosa Shirt. Wenn ihr kalt ist, zieht sie was petrolfarbenes drüber…Wenn ihr ganz arg kalt ist, dann noch eine dunkelblaue Daunenjacke“ Ich merke mir Leute immer anhand ihrer Farben. Tragen eh alle jeden Tag dasselbe.
Bis wir bei ihr ankommen, hat sie auch ihre petrolfarbene Jacke schon übergezogen, der Morgen ist noch angenehm kühl. Wir plaudern ein bisschen, wir laufen uns den ganzen Tag immer wieder über den Weg. Der Mann und ich sitzen auch auf diversen Steinen heute rum und schauen in die Landschaft. Es ist ein so vielseitig schöner Tag und ich freue mich so, dass der Mann eine echte Bergetappe erwischt hat, zwischen den ganzen Klöster-Spaziergängen, die wohl die nächsten Tage so folgen.
Wir kommen in das Weidegebiet der schottischen Hochlandrinder, die von dem Agriturismo gestern, wo wir uns vor dem Regen versteckt hatten. Wir freuen uns riesig über das Begrüßungs-Komitee, zwei blinzeln uns freundlich an.
Und hinter er nächsten Kurve kommen dann noch viel mehr!
Wir erreichen eine bewirtschaftete Alm wo wir kurz Pause machen, 3 wütend kläffende Hunde springen uns schon wieder entgegen. Langsam nerven die doch ein wenig. Ob es meinem Hunde-Besänftigungs-Blick oder doch dem vom Balkon noch wütender schreienden Frauchen zu verdanken ist, dass sie kurz drauf Ruhe geben, bleibt unklar.
Aber während wir auf dieser tief matschigen Wiese versuchen, auf 3 Steinen zu balancieren, passiert, was bei jedem neuen Bergschuh irgendwann passieren muss. Ich hatte aufgrund des tollen Wetters eh lange Glück. Aber jetzt ist es soweit. Die Hunde irritieren mich doch zumindest so weit, dass ich einen Schritt zu viel nach links mache und meinen bis eben noch royal-königsblauen Bergschuh mit einem schmatzenden Geräusch in einem riesigen Schlamm-Loch versenke… Neiiiiiiiin, mein schööööööner Schuuuuuuuh…..
Wenigstens stelle ich beim anschließenden Versuch ihn im Fluss zu säubern fest, dass sie wirklich noch komplett wasserdicht sind. Das ist die gute Nachricht.
Jetzt kommen noch 300 HM bis zum ersten Pass, angeblich super steil. Die ersten 150 merkt man gar nicht… Dann kommt etwas, dass sich gut als kleiner Badepool im Fluss eignen würde, da könnte man reingehen. Aber der Mann meint, es müsse doch auch gleich der Bergsee kommen und tatsächlich, der schönste Bergsee meiner bisherigen Tour liegt vor uns, mitten in der Sonne!
Ich schwimme halb durch. Für ganz ist es doch zu beißend kalt. Aber es ist herrlich, vor allem weil es draußen warm genug ist zum sich trocknen lassen. Als wir gerade auf den Steinen liegend uns sonnen, kommt die Quantenphysikerin, sie geht auch sofort rein. „Warum gehst du nicht rein?“ fragt sie denn Mann. „Ich gehe grundsätzlich nur bei 30 Grad ins Wasser.“ „Wasser-oder Außentemperatur?“ „Beides“, sagt der Mann.
Jetzt sind es nur noch 150 Hm steil rauf bis zum ersten Pass, aber gut erfrischt geht das auch leicht.
Nun öffnet sich eine Grasebene vor uns, da müssen wir steil runtersteigen, diese durchqueren und den zweiten Pass in Angriff nehmen.
Da hinten winkt der zweite kleine Mini-Pass. Er ist mit Gras ausgelegt, gar nicht geröllig und lustige gelbe Pfeile weisen den Weg. Easy.
Aber erstmal dahin absteigen. Da es am Grat recht windig war, machen wir dann da unten auch eine kleine Pause.
Zum dritten ist es dann streckenmäßig einfach noch recht weit. Es geht z.T. über Blockfelsen, die aber gut zu gehen sind. Wetter und Landschaft sind großartig, auch wenn man zwischenzeitlich denkt, jetzt könnte es doch regnen. Der Wettergott wird alle Wolken zusammenzwicken, bis wir gut in der Hütte ankommen.
Als wir den letzten Pass erklommen haben, zeigt uns ein (ganz großartiges) Schild an, dass es noch eine knappe halbe Stunde zur Hütte ist, die Quantenphysikerin hingegen zeigt links auf einen Abzweig. Von da aus könne man morgen früh auf einen Gipfel steigen und den Sonnenaufgang sehen, sagt sie. Man müsse halt nur um 4 Uhr los und im Dunkeln durch unmarkiertes Gelände mit der Stirnlampe irgendwelche Felsen hochklettern. Ob ich mitkomme? ICH??? Ist sie irre??
„Nein, das geht leider nicht“ sage ich. „Goldene Weitwanderregel Nummer 2: Keine irrelevanten Nebengipfel.“ (und das wäre nicht mal ein Nebengipfel, es wäre ein „wir laufen erstmal eine halbe Stunde wieder zurück von wo wir herkommen und steigen dann auf einen irrelevanten Nebengipfel und laufen dann alles nochmal wieder zurück. Das ist ja dreifach dämlich….)
„Was ist ein irrelevanter Nebengipfel??“ fragt sie ehrlich interessiert. Ich deute auf meine blaue GPS-Linie. „ALLES was links und rechts dieser Linie liegt ist IRRELEVANT. Ich brauche meine Kraft für die vielen Gipfel AUF dieser Linie. Die tun schon genug weh…“
“Du gehst echt NIEEE auf einen Zusatzgipfel??? Ich gucke den ganzen Tag auf der Karte, wo ich noch einen Extra-Berg mitnehmen kann, ich bin Gipfelsüchtig. Also, kennst du das nicht, wenn man den ganzen Tag Angst hat, dass man Abends nicht genug ausgepowert sein wird?“
“Nein.“
“Was ist die goldene Weitwanderregel Nr. 1?“ will sie nun wissen
“Niemals ein Foto bei geschlossenem Hüftgurt zulassen.“ Sie lacht. „Ihr seid ja lustig.“ Das denken immer alle. Bis sie dann ihr Handy zerschellt an einem Felsen aufsammeln, weil sie eben doch ein Foto von mir gemacht haben mit unvorteilhaft zusammenschnürendem Rucksackhüftgurt. Das darf niemand. Aber ich sage es immer vorher…
Wir steigen nun steil das letzte Stück bis zur Hütte ab. Hatten wir bis eben noch beste Sicht kommen nun Wolken auf, wir laufen in ein weißes Nichts. „Kann ich DICH denn überreden da morgen mit hochzulaufen?“ fragt sie nun den Mann. Ich muss innerlich lachen, aber der Mann bleibt wie immer formvollendet höflich. „Ich denke eher nicht.“
Und dann kommt schon meine Lieblingshütte 2023 in Sicht (das weiß ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht.) Und hier der Disclaimer, den ich am liebsten bei jeder Szene hinzufügen möchte: Wie unglaublich subjektiv das immer ist, abhängig davon, ob man einen tollen oder schweren Tag hatte, ob es wie hier genau dann zu Regnen anfängt, kurz nachdem man angekommen ist, ob die Wirte Zeit für einen Ratsch haben oder - wie hier - die Wirtin Federika sogar deutsch spricht. Sie war mal in Cottbus als Aupair, vor 26 Jahren erzählt sie. Sie ist ein totaler Strahlemensch, freut sich so dass ihre Gäste kommen, zeigt uns strahlend unser Zimmer „Ihr seid hier heute allein“ und als ich später in die Küche komme um was zu trinken zu bestellen drückt sie gerade Kartoffeln durch eine Presse. „Machst du etwa KARTOFFELBREI???“ „Ja, magst du das?“ Ohhh sooooo sehr!
Kurz nach uns kommt ein weiterer Deutscher an, er erzählt er sei vor 5 Tagen in Domodossola eingestiegen und „ein bisschen schneller unterwegs.“ „Wo kommst du denn heute her?“ „Aus Alagna.“ „ALAGNA???? Wann bist du denn dann schon los?“ „Och nicht so früh. So gemütlich gegen 9 Uhr.“ Hahaha. Dieser Mann ist EINE Stunde NACH uns, DREI Stunden entfernt VOR unserem heutigen Startpunkt, losgegangen, und kam zeitgleich mit uns an. Nun, wir wollen genau sein, 15 Minuten nach uns. Hahaha. Er hat und um fast 4 h eingeholt. Das macht mich sprachlos.
Die Geschichte wird später noch viel besser. Er ist schon seit Juni unterwegs, ist in Wien gestartet will bis Nizza gehen. „Oh der Wien-Nizza-Rother, der war bei mir auch schon ein paar mal im Einkaufswagen gelegen, aber irgendwie hat der GTA dann besser gepasst.“ Ob ich mal in seinen Rother schauen kann? Ach er ist ohne Wanderführer unterwegs, schneidet sich seine Tour selbst, war auf dem Karnischen Höhenweg, das fand er das absolut tollste (Der Mann wird hellhörig, den will er schon lange mal gehen), jetzt ist er auf den GTA abgebogen, bleibt da noch ein bisschen und biegt dann irgendwo nach Frankreich. Mitte September will er da sein, das sind nur noch 30 Tage Zeit. Ich rechne nach, ich würde ja auch am Mittelmeer rauskommen, würde ich den GTA komplett laufen, ein bisschen weiter links von Nizza. Ich würde dafür noch 50 Etappen ohne Pausentag brauchen….Er will in 30 Tagen ankommen. Verrückt. Der erste echte Weitwanderer dieses Jahr zwischen all diesen Urlaubs-ein-Wochen-Paaren, bzw. ich glaube, das ist überhaupt der weiteste Weitwanderer, den ich je live getroffen habe. Und der Schnellste. TOLL! 16 kg Gepäck, Zelt dabei und wenn Hütte dann immer das billigste Lager. Bei 90 Tagen macht es halt doch einen Unterschied, ob man pro Tag im Schnitt 30 oder 100 Euro pro Tag verbraucht, sagt er.
Essen ist großartig, es gibt Gemüse-Pasta aus einem Riesentopf als Vorspeise, neiiiin, keinen Nachschlag nehmen, ich weiß was noch kommt: Kartoffelbrei mit Gulasch, bzw. mit Kichererbseneintopf für die Vegetarier. Sie sind soo nett, herzlich, Federika und ihr Mann, sie ergänzen sich, und achten gut aufeinander. Er macht abends ein bisschen früher Schluss, dafür wird er am Morgen ein bisschen früher für uns da sein.
Die Quantenphysikerin versucht nun den von-Wien-nach-Nizza-Mann zu überreden, mitten in der Nacht in die falsche Richtung zu laufen nur für einen ollen Sonnenaufgang. Es sieht ganz gut aus, er scheint nicht gänzlich abgeneigt.
Wir fallen bald ins Bett. Der Tag hat schon Kräfte gezogen aus den Beinen und dem ganzen Körper, aber der Seele so viel zurück gegeben. Und jetzt hat die Wirtin hier grad das Wlan abgedreht und ich bin jetzt auf Mini-Handy-Netz und kann nicht mehr Fotos laden. Das ist gut, ich könnte mich eh nicht entscheiden…Und ich, also die ein paar Tage später gerade Schreibende, muss jetzt auch ins Bett. Morgen lange Etappe und früher Start. Ich werde die nächsten Tage noch ein paar Bilder nachliefern. Der Tag war so so so schön. Einer meiner liebsten.
Hab schon mal einen Sonnenaufgang gesehen. München Venedig Capanna Fassa auf über 3.000m. War toll. Und direkt VOR der Hütte. Reicht 😜Sonnenuntergänge sind viel toller ;-)))
. . . . .wenn der Wettergott zusammenzwickt, zwickt man automatisch mit zusammen 🙈
und! Wenn mir der Mann nicht eh schon sehr sympathisch wäre (Küchenfete 😜) , sein Badeverhalten könnte auf eine Seelenverwandtschaft zu mir hindeuten. Wasser nicht unter 30 Grad! 💧
Danke für den tollen Tag mit dir/euch. 😍
Vielen Dank für's schöne Schreiben....
So habe ich wieder einen schönen Tag bisschen "miterlebt"....
Unterstrichen mit schönen Bildern....
Schön, in gülden gegossenen Lettern schlicht einfach schön!
P.S. Einen ollen Sonnenaufgang in den Bergen oll zu nennen, dürfte allerdings nur jemandin schreiben, die dies noch nie erlebt hat😘. Nimm dies unbedingt auf deine To-Do-Liste (vielleicht noch nicht auf dem GTA, aber vielleicht auch nicht zu lange aufschieben). Du wirst, wenn die Sonne über die klare Kontur des Horizontes kommt, das schlicht einfache Wörtchen "schön" EINATMEN (!) können (geht, wenn man...zusammen mit dem Mann... vorher im Dunkeln aufgestiegen ist). Versprochen🥰🫠❤️