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Tag 24 GTA - „Brava!“


Samstag, 19.08.23 Etappe 22a + 22b

Trovinasse / Agriturismo Belvedere - Le Capanne (2 Etappen!)

Km 15 - Hm rauf 1.160 - Hm runter 1.210


Unterwegs von 07:45 - 16:15 Uhr - reine Gehzeit 5,5 h

Man muss die Vorteile sehen.

Während der Mann sich eine neue Stadt - Turin - anschaut, habe ich nun wieder die Freiheit unbescholten auf Wegen herumzusitzen. Mittendrin. So wie jetzt, es ist ungefähr Höhenmeter-Rauf-Halbzeit (die gilt es immer zu feiern) und ich sitze auf einem herrlichen Aussichtsstein, der wohl eigentlich als Stufe zum drüberhinweg gehen gedacht ist. Mitten auf dem Weg, weil links und rechts zu viel Gestrüpp ist. Ich befinde mich auf dem Aufstieg zum Agriturismo Le Capanne. Doppeetappe. Naja, zwei kleine, weiß auch nicht, warum der Rother das aufgeteilt hat. Vermutlich, weil in Quincinetto viele ein-und aussteigen..


Ich bin heute morgen mit dem sehr seltenen (und völlig sinnfreien) Ehrgeiz aufgewacht, dass ich den Abstieg nach Quincinetto VOR allen anderen schaffen muss. Niemand darf mich dabei überholen!


Ich bin als letztes am Frühstück und als erstes fertig, einen Joghurt, ein Stück Apfelstrudel. Ein zweites kleines Frühstücks erst dann wenn die erste Etappe geschafft ist. Nein, nur wenn sie gewonnen ist! Ich zahle schnell, bin sehr irritiert, wie wenig Geld sie von mir haben will. Für das opulente Festmahl, Frühstück, Zimmer berechnet sie je 50 Euro für den Mann und mich, für meine Nacht allein im selben Zimmer will sie weniger als die Hälfte, nur 40 Euro, weil ich ja „nur so wenig gegessen haben.“ Ein sehr seltenes Feedback. Plus ein bisschen Getränke am Nachmittag. 3 Euro dafür, dass sie meinen Rucksack auf 3 Mal durchgewaschen hat, den Teil 30 Grad, den Teil 40 Grad und die vergessene orange Jacke. 40 Euro finde ich echt… zu wenig. Ich hab so oft auf der Tour schon das doppelte für weniger bezahlt. Ich muss ihr später eine Mail schreiben und ihr das sagen. Man darf für seinen Wert einstehen, wer so was tolles bietet braucht preislich nicht einen auf Billigunterkunft machen. Aber nicht jetzt, ich muss ein Rennen gewinnen. Ein ganz kurzer Blick zurück darf sein, danke Belvedere für die schönen Tage!


Und jetzt muss ich aber da rüber:



Ich starte um 7:45 Uhr, vor allen anderen. Manch ein hier mitlesender Sportmoderator wird mir jetzt erklären, das ist jetzt nicht ganz fair, beim 100 Meter-Lauf kann sich auch nicht einfach einer 10 Minuten früher losmachen. Aber beim Weitwandern ist dieses „Wie lange brauch ich morgens um mich final zusammenzukruschteln“ eben schon Teil der Gesamt-Disziplin. Eine, in der ich sehr gut bin. Ich muss nicht immer „noch mal aufs Zimmer“ (was machen die Leute da??) ich bin fertig.


Meine Rennstrecke. Sie war recht abwechslungsreich aber Bilder konnte ich natürlich nicht viele machen…


Aber hier die Kastanien, die sie oben mit Rotweinsoße und Butter als Haus-Spezialität servieren!


Gleich unten!


Ich mach es kurz, niemand hat mich überholt!!!


Statt in 2:30 h bin ich in 2:05 h unten - inkl. 15 Minuten verlaufen. Wenn man die abziehen würde - was man natürlich nicht darf weil auch Wege korrekt finden Teil der Weitwander-Disziplin ist - ja dann wäre ich echt krass schnell unten gewesen. Ich hab es so genossen, die Beine sind von selbst gelaufen, es war kühl und grün. Nur das mit den Markierungen werde ich NIE verstehen. Sie malen überall rot weiße Markierungen hin (danke!) und an der einen Stelle, wo man abbiegen muss, in etwas, das von außen wie eine ins nichts laufende Stichstrasse aussieht, weg vom Hauptweg dem man schon ein paar Kehren folgt, da machen sie nix hin. Das ist so oft so. Ich versteh das einfach nicht!


Aber egal, ich alter Pathfinder habe eine Abkürzung gefunden, um die verlorenen 50 Hm möglichst effizient wieder aufzusteigen, entlang irgendwelcher Leitungsrohre, da waren kleine Treppchen, vermutlich für die Leute, die dort die Wartung machen, da bin ich zurück hochgeklettert, anstatt die langen Kehren auf der Strasse nochmal zu gehen.


Ein sehr alter spazierengehender Italiener, der mich an der letzten Kurve noch freundlich gegrüßt hatte, steht oben an der Straße und guckt verwundert die Brüstung runter, was ich da mache. Und vor allem, wo ich das mache. Vielleicht denkt er ich bin eine Terroristin, die sensible italienische Infrastruktur angreift. Nein - ich muss ein Rennen gewinnen, Mann!


Trotz dieses Umweges stehe ich um kurz vor 10 in Quiencinetto. Erste!!!



Der Mann war ja hier gestern schon, es ist immer noch alles ausgestorben. Aber es muss eine Bar geben. Neben der Kirche ist sie nicht und der Lebensmittelladen, der überall ausgeschildert ist, sieht auch so aus, als ob er dauerhaft geschlossen sei. Ein paar leere Regale gähnen mich durchs Schaufenster an. Die Anzeige an der Apotheke zeigt 27 Grad im Schatten an.



Ich frage eine nette Einheimische, wo es hier eine Bar gibt. Googlemaps hat nix eingetragen, sie sagt ja es gibt eine, aber eben nur EINE, sie sucht auch ewig auf der Karte, dann schickt sie mich Richtung Centro Commerciale, dem Einkaufszentrum. Das ist nur 4 Minuten weg von der Kirche, aber eben eine Richtung, die man eigentlich nicht intuitiv einschlagen würde, aber das ist ausgeschildert. Und da in einer Seitengasse ist sie, mit schönen schattigen Plätzen zum draußen sitzen. PERFEKT!


Ich habe nämlich einen Plan: Mich wird heute auch nach oben niemand überholen!

Hier verstecke ich mich jetzt, bis ich vermute, dass alle durch sind und ich mit dem letzten Startplatz die Aufstiegsetappe starte. Schwaben kehren sicher nicht so kurz nach dem Frühstück gleich wieder ein und die beiden Lehrerinnen, die hab ich vorhin die Kirche besichtigen gesehen, das kann ja nicht so lange dauern. Ich ertrage das heute mental nicht, wenn wieder Horden von 65-jährigen Frauen, Schwaben und sonstigem an mir vorbeirauschen. Ich steige heute entspannt und in meinen Tempo auf, ohne ständig von irgendwelchen Renn-Rentnern zur Seite gestoßen zu werden. Manche konditionellen Defizite kann man mit Intelligenz lösen.

Ich bestelle einen Toast, Cappuchino und Wasser und freue mich an meinen neuen Renn-Beinen. Das mit dem Muskelaufbau scheint ja prima geklappt zu haben.

Am Nebentisch sitzt ein junges Pärchen. Der junge Mann ist sehr höflich: „Und laufen Sie auch diesen GTA?“ fragt er mich. Hat der mich gerade gesiezt? Du liebe Güte. Bestimmt schreibt er heute Abend in seinem Blog, dass hier nur alte Frauen unterwegs sind. Haha. So wie ich das ja auch tue.. Der GTA - Die Tour auf der sich jeder jung fühlt, weil alle anderen immer so viel älter sind.

Aber ich werde die beiden noch lieben lernen, sie haben nämlich eine echte Superkraft! Sie finden intuitiv die besten Badeplätze. Die allerbesten!


Als ich mich gegen 11 Uhr losmachte, zeigte die Apothekenanzeige schon 30 Grad. Na das kann ja heiter werden, sind ja nur 1.100 hm rauf. Anhaltend steil rauf, wie der Rother nicht müde wird zu betonen.


Ja und dann sitz ich da auf meinem Weg-Stein genieße den Blick, diesmal auf die andere Seite rüber…


…und hör es doch wieder so Stecken-Klappern in der Ferne. Wer ist denn jetzt noch hinter mir? Das Schwaben-Paar nähert sich. Wo kommen die denn so spät her? Sind sie etwa langsamer als ich? Gibts ja nicht (und ist dann auch nicht so, aber richtig schnell sind sie auch nicht. Beruhigend.) Die haben ja krass rote Köpfe, sehe ich auch so aus?


Ich lass ihnen ein bisschen Vorsprung und dann steige ich die noch fehlenden Hälfte auf. Und was soll ich sagen? Es geht echt gut!


Drei Gründe: Erstens sind 96% des Weges komplett im Schatten. Das macht den größten Unterschied. Dann ist es zweitens zwar in der Tat steil, wieder einmal Muli-Pfade, aber diese hier hat man mit so kleinen Stufen versehen, so dass auch ganz kleine Eselchen diese gut gehen können. Es ist total angenehm, genau meine Schrittlänge, ich komme super voran, finde einen guten Rythmus und werde die Rother Zeit nicht nur in der Abwärtsetappe sondern auch in der Bergetappe um eine halbe Stunde schlagen (also Gehzeit, gleich werde ich aufgehalten…).



Drittens: Ich bin erholt und merke das so deutlich.


Und dann kommt mein absolutes Tages-Highlight: EINE gute Stunde vorm Ende, es fehlen noch ca. 400 hm sehe ich das Paar von heute morgen weiter unten auf Felsen rumliegen. Sie haben die perfekte Badestelle gefunden, und ich wäre dran vorbeigelaufen, weil man ein paar Felsen runterklettern muss und sie nicht gleich von oben sieht. Ich hätte eine weiter oben vermutet, hier nicht. Aber es ist die Beste! Die beiden sind hier wohl schon länger, packen sich gerade zusammen. Der Stein da oben, da kann man sich so hinlegen, dass der Kopf im Schatten ist, die Beine im Wasser weiter gekühlt werden und der Rest trocknet.


Das Wasser ist so phantastisch, immer wenn ich grad trocken bin und mir denke ich geh jetzt dann mal langsam weiter MUSS ich nochmal reingehen. Ist schon kalt, aber herrlich kalt erfrischend, man muss gar nicht schreien. Es ist 14 Uhr oder so, die Bonner Damen sind schon oben und haben geschrieben, es sei ein rechter Ausflugs-Trubel da oben. Da muss ich mich ja nicht um 15 Uhr schon dazutrubeln. Hier ist der absolut perfekte Platz. Man kann auch ein bisschen im Fluss rumlaufen, da kommen noch mehr kleine Pools.


Iiiiiirgendwann mache ich mich doch los, gehe noch EINMAL rein und ziehe dann sofort meine Sachen über die nassen Badeklamotten. Tauche nochmal den Buff ins kalte Wasser und ziehe ihn über den Kopf, so habe ich eine 3-Punkt Körperkühlung, die mich dein restlichen Aufstieg ein bisschen kühlt (Nein Mama, ich verkühle mir NICHT die Nieren und ich krieg auch keine Blasenentzündung!) Bis ich oben bin ist alles trocken…


Auf den letzten Metern bleibe ich auf der Strasse, diese liegt nämlich schon im Schatten, während die letzten Wiesenabkürzungen steil in der prallen Sonne liegen. Ein paar Autos überholen mich - Das Le Capanne ist wohl auch ein beliebtes Ausflugsrestaurant, v.a. heute am Samstag.


Einer guckt aus dem Fenster, ich merke er überlegt, ob er mich mitnehmen soll.


Ich sehe ihn zwei Kurven weiter oben, wie er - mit allen anderen - sein Auto parkt und aussteigt. Er wohnt dort oben.


„Hallo!“ grüßt er freundlich. Er spricht englisch. Dann stellt er die absurdeste Frage des Tages, es hat mindestens 35 Grad, ich komme rotköpfig schnaufend da oben an und er?

„Hast du Lust auf ein Glas ROTWEIN?“

Also bei aller Höflichkeit, die ich in fremden Ländern versuche zu wahren, das geht nun wirklich gar nicht. Als ich dankend den Kopf schüttel meint er „na wenn du lieber Wasser magst, der Brunnen ist da drüben. Aber in 10 Minuten bist du auch oben, ist superschön da.“


Na 10 Minuten schaffe ich. Es geht mir immer noch gut!

Als ich den letzten Waldabstecher hochgehe, kommt mir eine 5-köpfige plaudernde italienische Gruppe reizender älterer Damen, entgegen. Ich bin sicher, die haben grad einen Prosecconachmittag dort oben verbracht. Sie grüßen vergnügt, fragen von wo ich denn heute herkomme?

„Trovinasse.“ Waaas? Von DAAA oben (sie zeigt auf die gegenüberliegende Seite des Berges) von da bist du heute runter und alles wieder hoch? „BRAVA! Gut gemacht!“

Alle klatschen laut und rufen „Brava!“ Ich freue mich so, was für ein Zieleinlauf. Und ich fühle mich auch genau so:

BRAVA!


Die vorderste und ich vermute älteste tätschelt mir beim Vorbeigehen nochmal die Schulter „BRAVA! Das hast du so gut gemacht. In 5 Minuten hast du es geschafft!“ Aus der hinteren Reihe muss noch jemand korrigieren „na es sind eher 10 Minuten.“ Normal ärgern mich so demotivierende Kommentare, als ob das nicht egal ist, aber nicht heute!


Das war eine so herzliche Begegnung. Und da ist auch schon die Abbiegung zum Le Capanne.


Oben angekommen geht es genau so weiter, meine Bonner Damen sitzen (schon den ganzen Nachmittag) auf der Terrasse und Winken. „Herzlichen Glückwunsch! Doppeletappe!“



Es ist alles schön und gut dort oben, man kann mit dem Auto bis hochfahren (warum erfahre ich das erst JETZT?) und ich bin einmal mehr so entscheidungs-zufrieden, dass ich meinen Pausentag da drüben auf der anderen Seite des Berges verbracht habe. Hier gibt es auch gar keine pinken Liegestühle. Alles gut hier und auch recht neu, aber keine Pausentag-Flow-Gemütlichkeit.

Wider erwarten komme ich doch nicht ins Lager sondern bekomme ein Zimmer. In diesem kleinen Neubau:




Ich bin echt stolz. Das ging so gut heute. UND, viel wichtiger, es hat so viel Freude gemacht.


Heute war es endlich mal wieder „normal angemessen anstrengend“ nicht so einen komplett aussagend anstrengend.


Ich denke, ich lauf noch ein bisschen weiter.

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