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TAG 5 GTA - Auf Schmugglerpfaden zurück in die Schweiz


Montag, 31.07.23

Alpe Veglia (IT) - Gondo (CH)

km 18,5 - Hm rauf 860 - Hm runter 1.800 (!!!)

Unterwegs von 08:10 - 17:30 Uhr, reine Gehzeit 8 h


Ich mag die Schweizer aus vielen Gründen - hier ist einer: Man betritt völlig ausrangiert nach einem echt langen und schweren Tag gefühlt sehr spät die Gaststube und zwei begeisterte Wirte gucken hinter ihrer Bar hervor und rufen: „Sind Sie heute etwa von Veglia gekommen? Und da sind sie JETZT schon da?“ Der zweite ergänzt: „Und wie gut Sie dabei noch aussehen! Also was wir hier schon alles erlebt haben wie GTA-ler hier reingekrabbelt sind nach DIESER Etappe.“ Der erste nickt eifrig „alles haben wir hier schon erlebt, aber SO entspannt und SO früh war noch kaum jemand da…“


Liebe Wirte auf der ganzen Welt: SO geht das. Nach einem Abenteurerinnen-Tag draußen in der Wildnis, ein Tag an dem man mit Schlangen, LKWs und Mörder-Abstiegen gekämpft, sich durchs Gebüsch geschlagen, Scharten hinunter und wieder hinauf geklettert ist, Fährten gelesen und Flusswasser getrunken hat, da will man GENAU SO begrüsst werden. Bitte merkt euch das. Die Schweiz als Vorbild. Wie so oft.


Aber erstmal zurück ins zauberhafte Alpe Vegia: Das war der morgendliche Blick aus dem Dachfenster beim Aufwachen. Der Monte Leone erstrahlt rot im Morgenlicht.

Direkt danach: Das bislang beste Frühstück der Tour. Ich habe mich an die üblichen zwei Weißbrotscheiben oder Zwiebacks mit Packerl-Marmelade gewöhnt, mir macht das nix aus, bin sonst eh Team gar-nicht-oder-wenn-dann-süß-Frühstückerin. Trotzdem toll, als da plötzlich Käse, Schinken, Joghurt und ein frisch gebackenes, warmes Croissant aufgetragen werden!!!


Der Wirt schürt das Feuer an, es knistert heimelig. Kalt ist es schon noch morgens. Aber nicht hier drin.

Die Wirtin meint beim Verabschieden, ich soll das nächste Mal länger bleiben, 2 Tage oder so. Ich sage, das nächste Mal bleibe ich einen Monat, und schreibe ein Buch. Sie meint: „Das ist auch gut.“

Hab ich gestern noch die Markierung gelobt, sind sie heute entweder falsch, nicht vorhanden, ein „anderer“ GTA ist ausgeschrieben, dem man laut Rother aber auf keinen Fall folgen soll. Heute ist also GPS-Daten-Tag. Ladet eure Handys auf und stellt sicher, dass ihr die Koordinaten habt - heute braucht man sie wirklich wirklich.


Um 8:02 Uhr fragt der Mann per sms ob ich etwa noch nicht losgelaufen bin, heute steht ein harter, schwarz markierter und vor allem langer Tag an, der längste bislang mit 7:30h angegebener Gehzeit und ganz schaff ich die Rother-Zeiten ja noch nicht. Jaja, ich geh ja schon - acht Minuten später steh ich auf dem Weg. Der sich erstmal in einem großen Halbbogen über diese erneut so schöne Hochebene zieht. Ich halte 3 mal an um zu überprüfen, dass ich nix vergessen habe - der Rucksack kommt mir heute so leicht vor? Aber Ipad, Wasser, Kleidung - alles drin.


Auf sehr leichten Forststrassen Wegen mit GTA-Pfeilen, die konsequent in die falsche Richtung zeigen, geht es an einer Schlucht vorbei geradewegs auf dieses Tal zu. Irgendwo könne man den Weg durch die Schlucht wählen, den findet heute aber niemand, mit dem ich im Tagesverlauf spreche.


Man steigt in Richtung dieses Tales ab, darf dann aber nicht den Abzweig rechts verpassen - wichtigste Regel an langen Tagen, ja nirgends zu viel absteigen und lieber einmal zu oft gucken, ob man noch richtig ist. Auch dieser Weg bleibt lange auf einer Forststrasse. Obwohl es heute erstmals seit Start deutlich wärmer ist, geht es gut voran, auch bergauf. Bei der Höhenmeter-Halbzeit mache ich die erste Pause. Die weibliche Hälfte des Paares, die ich schon ein paar mal unterwegs getroffen habe, taucht auf. Wir unterhalten uns darüber, das man heute auf gar keinem Fall der GTA-Beschilderung folgen soll, ja das habe sie auch gelesen. Als ihr Mann auftaucht gehen sie weiter, ich bleib noch ein bisschen sitzen. Ein Schmetterling gesellt sich zu mir.


Dann der Aufstieg zu Balmelle hoch, ein kleiner Almbetrieb mit vielen Kühen, die man schon von weitem bimmeln und rufen hört. Für mich als nicht-Kuh-Expertin klingen nicht alle nach glücklichen Kühen. Eine muht sich die Seele aus dem Leib, ich kann aber nicht erkennen was ihr fehlt? Kurz überlege ich meinen Bruder anzurufen und ihm die Kuh „vorzuspielen“. Er ist auch dieses Jahr wieder auf der Tröpolacher Alm und hütet Kühe und Ziegen. Der kennt sich aus. Aber wenn er mir jetzt erklären würde, die hat bestimmt Maul und Klauenseuche oder bekommt grad ein Kälbchen, wüsste ich ja wieder nicht was zu tun wäre. Auch hab ich kein Netz, außerdem sind Leute auf der Alm, wenn die nicht beunruhigt sind, muss ich es ja auch nicht sein. Vermutlich gibt es wie bei den Menschen auch unter Kühen welche, die halt einfach spinnen.

Hier gibt es laut Karte noch eine Wasser-auffüllstelle und da sehe ich auch schon den Brunnen. Ich fülle die Flaschen und mache hier die nächste kurze Pause und esse Buchweizen-Kuchen-Nachtisch vom Antica Locanda zwei Tage vorher. Den hatte ich ganz vergessen :-) Es gibt hier ja so oft riesige Kuchenstücke als Nachtisch, nachdem man Berge von Pasta und dann Braten mit Polenta, Butter, Käse serviert bekommen hat. Dann noch Kuchen finde ich immer so …unangemessen! Kuchen ist ein perfektes Frühstück oder idealer Wanderproviant, oder großartig beim Ankommen zum Kaffee, aber doch kein Nachtisch nach einem üppigen Essen. Ich lass ihn mir dann immer einpacken und trage inzwischen eine halbe Konditorei in meinem Rucksack mit mir herum. Diese dezimiere ich jetzt.


Weiter gehts - ein kurzer Blick zurück, da unten war mein idyllisches Buchweizen-Torte-Pause-Plätzchen.

Und jetzt muss man gut aufpassen, man muss den Aufstieg über den Passo de Gialit finden und nicht über den Possette Pass, der überall ausgeschildert ist. Der Weg dorthin sieht eigentlich voll schön aus, aber nein, ich laufe zum ersten Mal auf dieser Tour, völlig blind den GPS Daten nach über Wiesen, an einem Gehöft vorbei und dann steil bergauf. Nichts ist markiert und es fühlt sich ziemlich falsch an und man befindet sich auf PRIVATGRUND. Falls man Hunde nicht mag, würde ich doch den Aufstieg über den anderen Pass empfehlen, 3 wild bellende, knurrende Hunde springen plötzlich über die Mauer eines Hauses und rasen auf mich zu. Als ich cool bleibe, wechseln sie die Taktik um mir auf den letzten Metern schwanzwedelnd entgegenzulaufen und freudig an mir hochzuspringen.


Der Gialit Pass ist nicht nur nicht ausgeschildert, er wird nicht mal oben beim Ankommen mittels der sonst üblichen Schildern erwähnt. Ein anonymer Geheim-Pass. Weiter unten sehe ich das Paar von vorhin, wie haben die es denn geschafft HINTER mir zu sein??


Höchster Punkt, 2.225m, Zeit für eine erneute kurze Pause mit Fernblick.

20 Min später kommen die anderen beiden oben an „Wie habt ihr es denn so weit HINTER mich geschafft?“ will ich wissen.

Beide stöhnen auf. Sie erklärt „er wollte 10 Minuten Forststrasse sparen…“ Er schimpft: „also wenn da GTA ausgeschildert ist, kann man doch wohl davon ausgehen, dass das auch stimmt!“ Ich gucke die Frau irritiert an, wir hatten uns doch vor vorhin erst darüber unterhalten, dass man dem heute genau nicht folgen darf? Sie zuckt die Schultern, packt den Campingkocher aus und kocht Tee.


Sie sind den anderen Pass hoch und dann wieder umgekehrt. Aber warum sind sie dann nicht den Höhenweg rüber gelaufen? Sondern den falschen Pass ganz rauf, dann wieder runter, dann rüber zum „richtigen“ Pass und den erneut rauf? An einem Tag der eh so lang ist?? Er sieht das Schild unter dem ich liege und schimpft „das gibts doch nicht, SOO rum ist es jetzt ausgeschildert, wir hätten doch einfach den Höhenweg rüber gehen können! Jetzt sind wir alles umgekehrt und erneut aufgestiegen! Das war mindestens eine Stunde Umweg!!!“


Ich höre mich einen Satz sagen, den ich mit Sicherheit in meinem Leben noch nie zu einem deutschen (!!) Mann (!!!) gesagt habe: „Aber das sieht man doch auf der Karte, dass das geht?“ Ich halte den Rother in die Luft, denselben, den sie auch haben. Er wechselt die Taktik, schiebt es jetzt auf sie „Es war nicht ausgeschildert, und mit IHR (er deutet auf seine Frau) gehe ich doch keinen unmarkierten Höhenweg!“

Er wiederholt diesen Satz noch einige Male, sie packt inzwischen weitere Dinge aus dem Rucksack aus. „Jetzt erst mal Lunch!“ Sie haben Campingkocher und alles dabei, sind perfekt ausgestattet. Wie weit sie den GTA gehen, frage ich. „Solange wir Lust haben, wir haben bis Ende August Zeit.“ “Ach cool, ich auch.“ Die ersten echten „Weitwanderer“ unter diesen ganzen GTA-Wochenendausflüglern. „Bist du denn dann auch Lehrerin, dass du soviel Zeit hast?“ „Nö. Ich nehme sie mir.“ In diesem Moment bin ich kurz sehr stolz auf mich..Ich zieh das echt durch. Das vierte Jahr in Folge. Ich nehme mir die Zeit.


“Wir sind ja beide Lehrer“, sagt sie.

Ich frage: „Wie macht ihr das denn bei Etappe 11? Schlaft ihr in dem Wald-Biwak? Oder geht ihr die 2.000 hm und macht beide Etappen an einem Tag?“ Ich denke, so könnte ich es mir ja vielleicht doch vorstellen, wenn da noch wer anders ist, den man schon kennt. Beide gucken mich erstaunt an. „Was denn bitte für ein Biwak im Wald??“ Dann sagt sie etwas sehr lustiges: „Ich glaube, wir sind nicht ganz so gut vorbereitet wie du.“ Das beruhigt mich wirklich. Ich hab die ganze Zeit das Gefühl, noch nie mit so wenig Planung gestartet zu sein…

Ich breche auf, 4 Stunden langer Abstieg liegen noch vor uns, zwar bin ich runter oft schneller, aber dieser Weg wird als sehr schwer bezeichnet. Waren es bislang einfache Forst-und Wiesenwege geht es jetzt auf einem wunderschönen Höhenrücken leicht abwärts. Man sollte die Alpe Corwetsch erreichen, die ist aber ewig nicht ausgeschildert, dafür viele andere, die NICHT in der Karte stehen. An einer Kreuzung gibt es Beschilderung in 3 Richtungen. Die vierte, da wo nix steht, das ist die richtige, da gehts lang. Die beiden Lehrer erzählen später, sie haben die 3 Studenten noch getroffen, die hätten sich dort sowoas von verlaufen und hätten alles zurückgehen müssen. Und das an einem eh schon so langen Tag. Ich schalte auf Dummie-Modus und laufe blind der blauen GPS-Linie hinterher. NIEMALS hätte man das auf Anhieb richtig gefunden. Gondo ist den ganzen Tag noch kein einziges Mal ausgeschildert gewesen, ich frage mich ob es einen italienischen Ehrenkodex gibt, keine Schweizer Ziele auszuschildern??



Irgendwann passiert man die Grenze zurück in die Schweiz.

Ab da herrscht wieder Schilder-und Markierungs-Ordnung. Und es geht auch erstmal wieder gemächlich bergauf. Bevor es höllensteil bergab gehen wird…

Und dann ist auch Gondo zum ersten Mal ausgeschildert. Noch 2 h. Und das werden die härtesten des Tages. Es geht von hier über 1500 hm steilst bergab, über lange Strecken stark ausgesetzt. Oft denke ich „ein Seil wäre jetzt aber auch hilfreich“, dann kommt etwas später eins. Das hängt aber meist so tief und locker, dass es gefährlicher ist das zu verwenden.

An einer gefährlichen Stelle liegt das Seil am Boden? Außer zum Drüberfallen, für was ist das da gut? Der Rother schreibt „Direktabstieg in die Gondoschlucht steil und bei Nässe heikel“. Es klingt, als gäbe es eine Alternative zum „Direktabstieg“, die gibt es aber nicht. Und ich würde ergänzen: bei Nässe lebensgefährlich. Auf keinen Fall gehen.

Aber das Wetter hält Gottseidank. Der Abstieg wird immer steiler, plötzlich fällt mir ein, das ist der alte Schmugglerpfad. Was bitte haben die hier geschmuggelt? Bierfässer sicher nicht. Und mir fällt auf: Schmuggeln ist im Gegensatz zum Weitwandern kein „one-way-Business“ da muss man hin UND zurück. Wie bitte kann man diesen Weg BERGAUF gehen?? Später lese ich, Kaffe, Schokolade und Zigaretten, dafür konnte man in Italien den doppelten Preis erzielen. Bis zu 30 Kg auf dem Rücken, zu jeder Jahreszeit. 1914 kamen 9 Familienväter in einer Lawine ums Leben, bei dem Versuch, ihre Familien durchzubekommen und ein bisschen Geld dazu zu verdienen. Mich berührt sowas sehr. Und wenn ich mir eine Sache wünschen dürfte, dann wäre es wohl, dass wir das extrem hohe Maß an Sicherheit, Frieden, Versorgung und Wohlstand, das wir als Gesellschaft erreicht haben, mehr zu schätzen wissen. Bevor wir uns dann den Herausforderungen zuwenden, die es zweifelsfrei gibt. Aber eben immer mit dem Bewusstsein, auf was für einem extremst hohen Niveau wir alle leben dürfen.


Irgendwann höre ich die Autos auf der Pass-Strasse unter mir donnern. Wenn man denkt - jetzt kann es ja nicht mehr weit sein - man irrt. Von da dauert es immer noch ewig.

Im Rother steht, wenn man in Gondo den Himmel sehen will, müsse man sich auf den Rücken legen? Ich hab das beim ersten Lesen nicht verstanden, nähert man sich dem Tal, wird es klar. Die Berge drumrum sind riesig, das Tal eng. Nur Kopf in den Nacken legen reicht da kaum..


Und hatte ich den schlauen Plan, die letzten KM NEBEN der Strasse sicher nicht zu laufen, da wird mich doch jemand mitnehmen im Auto, so macht mir das Schweizer Straßenbauamt einen dicken Strich durch die Rechnung. Der Fußgängerweg verläuft zwar parallel aber leicht oberhalb der Strasse, man kommt nicht runter. Hmpf…



Nach Eeeeeeeewigkeiten des neben der Strasse herlaufends, das erlösende Schild. Da wohne ich heute. Noch 200 m und sie geben gleich schon die richtige Strassenseite an. Es ist „die andere“. Zwischen LKW-Lücken hüpfe ich rüber. Und dann die vermutlich wirklich gefährlichste Stelle des Tages, 100 m vor meiner Unterkunft liegt WER auf dem GEHWEG dieser krass befahrenen Strasse? Nun - ich vermute es war eine kleine Blindschleiche. Die ich aber fast übersehen hätte vor lauter „Zielorientierung“ und die als sie sich ein bisschen aufrichtet in meiner völlig übermüdet erschöpften Phantasie zu einer riesigen Schweizer Bergkobra wird, kurz vorm tödlichen Biss in meine Kehle.


Ich schreie auf uns springe in einem großen Satz nach links. Da ist die Strasse. Ich glaub es war ziemliches Glück, dass gerade kein LKW oder Motorrad ankam. Auf den letzten 100 m überlege ich, wie dieser Unfall statistisch erfasst worden wäre. Als Verkehrsunfall oder als Tier-Unfall? Bestimmt hätte man dem armen LKW-Fahrer eine Mitschuld gegeben. Und die gemeine Schlange wäre grinsend ins Gebüsch zurückgeschlängelt.


Meine zwei tollen Wirte kennt ihr ja schon. Da es ja bald 6 ist und man den Postbus bis 18 Uhr reservieren müsste für morgen, frage ich als erstes danach. „Ach, das hat Zeit! Der Busfahrer schläft auch hier im Hotel. Das können wir später an der Bar mit ihm direkt klären…!“


Dann zeigt er mir mein Zimmer, (das bislang teuerste meiner Tour) „Dafür hab ich aber Bad im Zimmer, oder?“ Er guckt entsetzt: „nein, sowas haben wir hier nicht, in keinem Zimmer. Aber schauen Sie, HIER ist das WC auf dem Gang und DORT die Dusche. Alles extra für GTA-Wanderer. Und hier - ein Gemeinschafts-Balkon mit Wäscheständer, vielleicht wollen Sie ja was waschen?“ Ich rieche unauffällig an mir - war das eine Andeutung? „Und sie haben vom Balkon Blick auf den Wasserfall, sehen Sie nur!!! Den beleuchten wir nachts extra! Manche sagen, das wäre kitschig.“ er beugt sich zu mir und flüstert „ich finde es WUNDERSCHÖÖN!“

Entscheidet selbst.

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