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Traumpfad München – Venedig Tag 6. Auf schönen Wegen hoch zum Karwendelhaus



Hinterriss – Karwendelhaus

16 km, 950 hm

Los gegen 11 Uhr, Ankunft  17 Uhr, Unterkunft Karwendelhaus


Um 3 Uhr ins Bett – 6 Uhr schon wieder munter? Wo ist nur mein sonst sehr ausgeprägtes Schlafbedürfnis hin? Da ich heute wirklich nicht früh los muss stell ich den Wecker auf 9 Uhr vor und schlaf dann doch nochmal ein. Um 8 bin ich aber wirklich wach, blinzel aufs Handy und eines der ersten Dinge die ich lese ist Hans‘ Kommentar wie schön doch die Welt sei. Ein guter Satz um den Tag zu beginnen. Ein kurzer Blick aus dem Fenster scheint das zu bestätigen,  die Sonne ist zurück, der Rissbach schlängelt sich munter durchs Tal vor meinem Fenster, alles scheint gut. (Hier müsst ihr euch jetzt so langsam einsetzende, Unheil ankündigende Musik vorstellen…)


Als ich in den Keller des Hotels husche um meine dem ganzen Hotel angekündigte Wäsche von der Leine zu holen der Schock! Alles weg. ALLES!


Was macht man in so einem  Fall? Ja genau, erstmal frühstücken und dabei nachdenken. (Dann erst die Polizei rufen ) Ich hab ja noch einen Bikini und ein Schlaf-T-Shirt, bis Scharnitz komme ich bekleidet durch, und da kann ich ja Shoppen. In Innsbruck oder Hall doch auch. Der Shuttlefahrer ist heute morgen der Kaffee-Servierer, sagt guten Morgen und stellt mir ne Kanne Kaffee hin. Grinst er nicht ein bisschen hinterlistig dabei? Wer soll es eigentlich sonst gewesen sein wenn nicht er?? WIE gehe ich jetzt am besten vor?


Im Frühstückssaal erscheint der Rezeptionsengel von gestern. Im Gegensatz zum Shuttlefahrer hat sie auch heute morgen noch denselben Job: Engel! „Servus! I hob dei Wäsch in Trockner, die war no net trockn. I brings dir dann nauf!“

„Oooh!! 🙂 ooook…. das ist …jetzt aber… seeeehr nett! Danke!“


Jetzt wieder tiefenentspannt vertrödel ich ein bisschen Zeit, lese und beantworte eure Kommentare, aber um 11 hält mich nix mehr. Eine leichte Bergwanderung zum Karwendelhaus steht an. „Ich finde heute meinen Weg auf Anhieb“ – so mein Mantra. Auf dieser gut ausgeschilderten Familientour könnte das klappen.


Auf der Strasse ist die Hölle los, ein Motorrad, ein Auto nach dem anderen rasen an mir vorbei. Ich schließe daraus, das heute wohl Sonntag ist. Die Strasse verlasse ich aber eh bald, auf einem parallel dazu verlaufendem Wanderweg sind schnell 300 hm gemacht, auf diesen bleibt man lange und geht mit diesem schönen Blick von oben erst das Risstal entlang, immer das Gletscherbonbon-farbene Wasser des Flusses nach (gibts die eigentlich noch? ) dann dem Johannestal entlang. Von den angekündigten 16 km laufen sich immer mehr in die Schuhe, ohne das man jedoch weiter an Höhe gewinnt… das könnte auf einen steilen Anstieg zum Schluss hindeuten. Es ist meist schattig und angenehm zu gehen. Später trifft man auf eine Forststrasse, auf der heute viele Mountainbiker einem bergab entgegen rasen. Ich bin hier auf  einem Teil der Mountainbiker Tour „Karwendelrunde“.


Die ganze Etappe ist technisch einfach, mit 16 km nicht so weit, 900 hm, eine normale einfache Bergtour die landschaftlich wunderschön und vor allem abwechslungsreich ist,  das mächtige Karwendelmassiv kommt immer näher. Erst steil vor einem aufragend, später hat man es den ganzen Nachmittag an seiner Seite. (Da es sich seit vielen Tausend Jahren nicht von der Stelle bewegt bedeutet es wohl dass ICH vorankomme!) Morgen auf dem Weg nach Scharnitz wird es mir dann hoffentlich den Rücken stärken. Man sieht die Birkarspitze, wo die ganz fitten München-Venedig Geher morgen irgendwie drüber müssen.


Ich genieße heute mal wieder das sonnige allein gehen, mache ewig Rast an einem Baum am wunderschönen Ahornboden, esse die letzten Salz-Mandeln (Danke Mama!) bevor es dann das letzte Stück zum Karwendelhaus hoch geht. Es ist mit 1,5 Std ausgeschrieben, ich brauche zwei, wie so oft am Nachmittag werde ich einfach langsamer. Das ist heute kein Problem, das Wetter ist stabil und ob ich um 4 oder 5 Uhr ankomme ist ja auch egal.


Es gibt ja Hütten die sind man schon ewig von der Ferne und sie kommen gefühlt einfach nicht näher. Dann gibt es die, die erst kurz vorher ins Sichtfeld kommen, was dahingehend irritierend sein kann, das man sich ständig fragt ob man richtig ist. Das Karwendelhaus schießt den Vogel ab – obwohl an einer Forststrasse gelegen sieht man es von meinem Aufstieg her erst, als man direkt davor steht. Es erscheint einfach plötzlich auf dem Weg vor dir, wie eine Fata Morgana. Auf der Tür steht Sektion „Männerturnverein“. Sie liegt mit unglaublichem Blick ins Tal und hat eine große Sonnenterasse. Auf diese werde ich mich gleich begeben, aber erst gilt es einen Lagerplatz zu ergattern.


Vor dem Haus auf dem Boden ist ein roter Kreis gemalt, darin ein Handy-Symbol. Viele stehen in oder um diesen Kreis herum und recken ihre Handys verzweifelt in die Luft. Ein seltsames Bild. Die Wirtin erklärt mir beim Einchecken, das sei die einzige Stelle, wo es manchmal Netz gibt – ich werde mich also später dazu stellen 🙂 Ich bezahle meinen Lagerplatz  (12 Euro) und noch eine Duschmarke (3 Minuten 3 Euro) und humpele in den 3. Stock (wieso ist plötzlich alles so steif??). Das Lager ist gemütlich unter dem Dach, viele kruschteln dort in ihren Rucksäcken, es entsteht sofort Ferienlager-Atmosphäre. Ich werfe Schlafsack, Rucksack und Bettlaken auf einen leeren Platz am Fenster und mache das wichtigste des Tages: Steckdose sichern und Handy, Powerbank und ActionCam dranhängen.


Dann hole ich mir eine Flasche Wasser und gehe auf die unglaubliche Sonnenterasse. Wo ich gleich die Veganerin treffe. Sie hat ebenfalls den Rat in ihrem Hotel bekommen, doch den Bus durchs Tal zu nehmen, an der Haltestelle wurde sie aber von einem Ehepaar mitgenommen. Sie ist daher schon seit 15 Uhr da und genießt die Sonne. Sie wirkt zunehmend gelöster als bei unserer ersten Begegnung, erzählt wie schön sie den Weg hier hoch fand und wie entspannend wenn man sich die ersten zwei Stunden schon mal spart. Es wird aber schnell kalt, jetzt noch vor dem Essen schnell 3 Minuten duschen.


Die Waschräume sind supermodern, jeder Duscher kann, sobald eine der abschließbaren Duschen frei wird, die Nummer dieser in ein Kästchen eintippen, seine Marke einwerfen, und nach 30 Sekunden läuft dann in genau dieser Kabine für 3 Minuten warmes Wasser. Man kann das auch durch Drücken des Knopfes unterbrechen, z.B. Zum Haare einseifen, hat dann aber ein bisschen kleines russisches Roulette, weil man beim erneuten Drücken des Knopfes nicht weiß, ob die 3 Minuten nicht doch schon rum waren. Aber alles geht gut, frisch geduscht geht es zum Abendessen. Der Saal ist brechend voll, ich sehe keinen freien Platz. Da winkt es aus der Masse, die Veganerin hat mir einen Platz frei gehalten.  Und ist happy, es gibt ein Veganes Curry auf der Karte. Ich denke drüber nach, dass es doch eigentlich nicht so schwer ist, auch ein veganes Gericht anzubieten. Das können ja alle anderen auch essen. Mit ein bisschen Abstand finde ich den Ex-Wirt vor 2 Tagen doch ein wenig arg, er hat sich dank seiner Gäste etwas erschaffen, das es ihm ermöglicht hat mit Ende 40 aufzuhören zu arbeiten. Jetzt ist er in „Rente“ und regt sich zwei Jahre später immer noch darüber auf, dass er keine Kartoffeln in Pflanzenöl anbraten will? Es ist wie so oft, wenn man erstmal sieht das was geht, wird es plötzlich möglich und denkbar. Ich bestelle trotzdem den Linseneintopf, mit ein bisschen(wenig) Speck drin. Mit uns am Tisch ein Pärchen, sie gehen 2 Wochen der München-Venedig Tour, starten quasi morgen mit Begehung der Birkarspitze. Den Quatsch vorne und hinten lassen sie weg. Hmpf. Aber es ist eine schöne Atmosphäre und ein fröhliches Geplauder, das Essen ist gut, ich versuche schnell die 1,5 Liter Wasser zu trinken, die beim Hochgehen zu tragen ich mir wieder gespart habe …


Der Wirt geht wohl immer abends von Tisch zu Tisch und bespricht das Wetter und die anstehenden Touren, gibt Tips und Warnhinweise. Da es heute so voll ist, verkündet der Wirt daher „Wir machen heute Gruppentherapie!“ Er fragt wer morgen die Birkarspitze zum Hallerangerhaus gehen will (das wäre meine Original-Etappe), ca. 1/3 der Hände springt in die Höhe. In vielen Blogs habe ich gelesen, dass er eigentlich fast immer vor der Begehung der Birkarspitze abrät, v.a. Allein-Wanderern. Nicht so heute „Wetter wird Bombe, oben noch Schnee, passt da halt auf. Lang und konditionell sehr anstrengend. Bewährt hat sich folgender Ablauf: halb 7 Uhr aufstehen, 7 Uhr Frühstück, halb acht los. Ihr braucht 9 bis 10 Stunden, manchmal auch 12. Wenn ihr 12 braucht kommt ihr halb 8 an, da ist es immer noch hell, das geht. Aber NICHT später los!“ Hätte ich nicht eh schon beschlossen, das zu umgehen, so würde ich es spätestens jetzt tun. Außer mir scheinen die Angaben niemanden zu stressen. Er fragt noch diverse andere Extrem-Touren ab, gibt jedem Hinweise und Tips.  Bei einer Tour meint er, das sei die am meisten unterschätzteste, die sei überall mit 6 Stunden ausgeschrieben, es braucht aber mindestens 9. Ein drahtiges Pärchen am Nebentisch bestätigt das, sie seien gestern von dort gekommen und die Angaben stimmten gar nicht. Der Wirt sagt,  er versucht seit Jahren das bei BergFex, Comot und in diversen Wanderführern ändern zu lassen, aber es passiert nichts. Es sind Sätze die mich in Panik versetzen, was wenn so was auf meiner Tour auch noch vor mir liegt?


Hat noch wer Fragen? Es klingt, als wäre er danach weg. Aber MEINE Tour ist noch nicht besprochen, niemand  der Adrenalin – Junkies scheint sie morgen zu gehen. Ich versuche es mit dem „ich frag für einen Freund“-Trick und hebe die Hand „Und wenn jetzt einer nach Scharnitz runter gehen wollen würde?“ Der Wirt schaut mich freundlich an: „Da gehst du direkt vorm Haus die Forststrasse links runter.“ „Kann der sich da verlaufen?“ „Nein, kannst du nicht. 19 km Gradausgehen. In 4 Stunden bist du unten, da ist’s jetzt auch egal wann du los gehst.!


Gut, wäre das auch geklärt.. Ich frag jetzt mal nicht, ob da noch Schnee liegt  oder ob die „Tour“  nicht auch seit Jahren von allen stark unterschätzt wird 🙂

Abends ist es dann echt kalt. Ich versuche mich nochmals mit dicker Jacke bekleidet auf dem roten Telefonier-Kreis zu positionieren und den Versuch zu starten ein kurzes Lebenszeichen nach zu Hause zu senden. SMS geht nicht durch aber was ist das? Telefonieren geht? Klar und deutlich? Ich spreche ca. eine Minute in das Telefon, dann verstummen nach und nach die Gespräche der Leute um mich herum, mehr und mehr starren verwundert zu mir rüber,  die kleinen eben noch plaudernden oder rauchenden Grüppchen lösen sich auf. Wie ein Wespenschwarm stürmen nun alle auf mich zu, recken ihre Handys in die Höhe und versuchen was von meinem guten Draht abzubekommen. Ich fühle mich als hätte ich Öl gefunden. Mitten auf dem Berg! Ich scanne die gegenüberliegende Wand nach einer Kamera ab. Das MUSS einfach ein Scherz der Hüttenwirte sein. Der von der Tutzinger Hütte hatte mich auch bei Regen in Flipflops zu einer Kapelle hoch gejagt und meinte, da sei manchmal Netz. Wahrscheinlich hat sich jede Hütte so eine Geschichte ausgedacht und sie übertragen sich gegenseitig diese Szenen täglich alle live auf irgendeine selbstgebaute  „Münchner-Deppen-in-ihren-Outdoor-Michelin-Männchen-Daunenjacken.at“-Seite und amüsieren sich. Bestimmt irgendwo in diesem „Dark-Net.“ Nun gut, warum nicht. Was soll man sonst das ganze Jahr da oben machen?


Um 22 Uhr ist Hüttenruhe, die Veganerin und ich quatschen noch ein bisschen länger (ganz leise natürlich!). Mit einem wirklich fast zur Hälfte gefüllten Schlaflager kann ich es kaum glauben wie still es dort ist. Als ich Nachts gegen 1 Uhr mal aufwache – immer noch totenstille. Ich gucke aus dem kleinen Dachluken-Fenster, dahinter der unglaublichste Sternenhimmel. Und wieder hab ich dieses starke Gefühl, das alles so gut und richtig ist. Und diese ganze Tour irgendwie unter einem ganz besonderen Stern steht.



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