Sonntag, 19.07.21
Rifugio Nordio Deffar â Tarvisio, Unterkunft Hotel Raibl
Hm rauf 480, runter 1.150, km 16. Reine Gehzeit ca. 4 Std. (Bin inzwischen viel schneller als der Rother :-))
Die SchwĂ€bin macht sich los, als ich gerade ĂŒberlege, aufzustehen. WĂ€hrend sie ihre bunten Sortierbeutel in den Rucksack packt  schimpft sie ĂŒber das FrĂŒhstĂŒck. âTypisch Italiener, können einfach kein FrĂŒhstĂŒckâ âWas gabs denn?â frage ich schlaftrunken von meinem oberen Stockbett herunter. Ich wollte ja eh auf der Feistritzer Alm frĂŒhstĂŒcken. âAch nur SĂŒĂkram. Typisch italienischer Keksgedöns-Teller. Nutella. PfannkuchenâŠâ âKekse?? Pfannkuchen???â Ich bin plötzlich hellwach.
7 Minuten spĂ€ter sitze ich beim FrĂŒhstĂŒck. Vor einem köstlichen âKeks-Gedöns-Tellerâ! Wir haben meine Oma frĂŒher immer in den Sommerferien besucht, fast nie an Weihnachten. Deswegen hat sie einfach im Sommer WeihnachtsplĂ€tzchen gebacken. Ich bin also darauf konditioniert, bei Hitze PlĂ€tzchen zu essen, das ist völlig normal. Und gut. Neben dem PlĂ€tzchenteller gibt es Pfannkuchen mit Aprikosenmarmelade. Frisches Baguette mit Nutella. Ein Cappuccino. Sogar einen Apfel gibt es. Phantastisch! FrĂŒhstĂŒck können sie hier!
Ich gucke vorsichtig auf die Terrasse: Der Tag wirkt viel freundlicher als der gestern. Blauer Himmel spitzt zwischen den Wolken hervor, die Sonne bereitet sich darauf vor, sich spĂ€ter durchzusetzen. Heute ist ein kurzer Tag, ein bisschen rauf, dann Abstieg nach Tarvisio. Dorthin reist heute Abend der Herr Gesundheitsminister wieder an! Er hat seine dringenden Termine in MĂŒnchen erledigt (irgendwas mit âins BĂŒro gehenâ) und startet in eine 3 wöchige politische Sommerpause. Er hat ja mal wieder alles richtig gemacht, eigentlich wollte er schon nach Hermagor kommen, aber es hat ja wieder niemand damit gerechnet, dass ich so schnell und nach Plan durchkomme. Von MĂŒnchen aus kommt man auch gut mit dem Zug nach Tarviso, das Wetter soll ab morgen perfekt werden. Und die letzten beiden Etappen waren ja eher mĂ€Ăig. (Ich weiĂ nicht, ob das so rĂŒberkam??)
Um 9 Uhr stehe ich auf dem Weg, treffe noch die 3 von gestern, âdie den ganzen Tag so rumtrödelnâ wie die SchwĂ€bin meinte.. Der Weg geht an einem vergnĂŒgten Bach entlang, steigt schnell ein bisschen auf, alles ist gut markiert, einfache Wege, einfache Steigung, es bleibt bewölkt aber trocken. Man sieht bald Pferde und KĂŒhe auf den Wiesen und dann auch schon eine kleine versprengte HĂ€useransammlung. Nach 45 Minuten ist die Feistritzer Alm erreicht, das Tageshöhenmeter-Soll rauf bereits erfĂŒllt! Und just in diesen Moment reiĂt wie zur Belohnung der Himmel auf und die Sonne winkt mich auf die wunderschön gelegene Terrasse. GefrĂŒhstĂŒckt hab jetzt zwar schon ganz vorzĂŒglich aber ein zweiter Kaffee geht ja immer. Vor allem in Italien!
Weiter Blick ins Tal und in die nĂ€chsten Berge, eine so freundliche Kellnerin, guter Kaffee. Ich bleib ewig sitzen, von hier sind es noch gute 3 Stunden. Ist ja völlig egal ob man um 13 oder 14 Uhr im Tal unten ankommt. Ein Motorradfahrer kommt an, der Raimund, grĂŒĂt freundlich, interessiert sich sehr fĂŒr meine Tour. Er war frĂŒher auch gerne lĂ€nger wandern, mit seiner Schwester, als diese noch gelebt hat. Mit der war immer alles entspannt und die Tage und das Wandern so schön. Er wirkt kurz traurig. Mit MĂ€nnern Wandern ist nicht dasselbe, das ist immer nur Wettbewerb, wer ist schneller, wie beim Motoradfahren. Er deutet auf seine Maschine am Zaun. Darauf hat er echt keine Lust mehr.
Ich wĂŒrde so ausgeglichen wirken, so in mir ruhen, meint er. Dann hĂ€lt er erschrocken inne âDarf man das noch? Komplimente machen?â Dann bestĂ€tigt er sich selbst: âDoch, doch, bin ja schon alt, da darf man dasâ und lacht. Ich freue mich total darĂŒber, vor allem nach meinem gestrigen stimmungstechnischen âTotalausfallâ. Heute ist echt alles wieder gut. Manchmal hat man eben so Tage. Sie gehen vorbei. (Danke an dieser Stelle fĂŒr all eure aufmunternden Nachrichten, sms & Co). Er kommt aus Tröpolach, kennt die Alm meines Bruders gut. âDann fahr ich da doch mal wieder zur Brotzeit rauf!â sagt er. âUnd erzĂ€hle ihm, dass ich dich getroffen habe!â âSag GrĂŒĂe!â Er schreibt sich meinen Namen und den meines Bruders auf. âIch vergesse ja inzwischen allesâ lacht er.  Dann fragt er, ob er noch ein Foto von mir machen darf. Der Tag ist jetzt schon ein ganz groĂartiger!! đ
GefĂŒhlte Ewigkeiten spĂ€ter mache ich mich weiter, bald ist das Cima Muli, eine JagdhĂŒtte erreicht. Hier hat man wieder einen so schönen Blick in die Ferne, die Seele kann atmen und ein bisschen umherfliegen, man sitzt gemĂŒtlich unter dem Dach der JagdhĂŒtte. Es gibt sogar PicknickbĂ€nke.
Als ich mich gerade losmachen will, fĂ€ngt der Regen an. Aber DAS hier ist italienischer Sommerregen, das kann man aussitzen, er wird gleich wieder aufhören. So ist es, 15 Minuten spĂ€ter ist er schon vorbei. Dann gilt es kurz den Weg suchen, da wo man denkt es geht weiter, preschen grad 20 Mountainbiker in einem irre Tempo runter es ist die Mountainbiker-Autobahn. Das ist falsch. Man muss das KlohĂ€uschen suchen, das ist auf der anderen Seite, DA geht es weiter. In leichten, heiteren Wegen Richtung Tal. Einmal erwischt mich nochmal ein italienischer Sommer-Regen-Guss, ein italienischen PĂ€rchen rennt kreischend in ihren Hotpants und Tops an mir vorbei, versteckt sich unter einem Baum. Ich laufe stoisch in meiner deutschen Trekkingmontur mit Hochgebirgs- Goretex-Membran vorbei. Bei mir bleibt alles trocken. Die deutsche Frau ist vorbereitetâŠEs ist ansonsten ein heiterer Grenzhopping Tag, mich erreichen diverse âWillkommen in Italienâ und âWillkommen in Ăsterreichtâ SMS im Wechsel. Sogar eine âWillkommen in Slovenienâ sms ist dabei. Wer weiĂ, wo ich da wieder falsch abgebogen bin đ
Als ich gegen 14 Uhr in dem kleinen, quirligen italienischen Ort ankomme das GefĂŒhl: Endlich Italien. Bars, Hotels, Kirche, kleiner Markplatz, Eisdielen, alle gestikulieren wild durcheinander. Und lachen, viel lachen. Ich finde mein Hotel fast auf Anhieb, das Hotel Raibl, die Zimmer sind sĂŒĂ und sauber. Das Restaurant dabei soll auch gut sein, angeblich die beste Pizza in Tarvisio. Mal gucken, wo wir spĂ€ter zum Essen landen, der Mann muss jetzt erstmal ankommen, hat aber ab Salzburg wegen dem Hochwasser ziemliches Zug-Chaos, nichts geht, Schienenersatzverkehr, viel VerspĂ€tung. Mir ist schon klar, dass das ein geringes Ăbel der aktuellen HochwasserschĂ€den in D ist, 3 Stunden verspĂ€tet im Urlaub anzukommen, ich bange nur ein bisschen ob das heute ĂŒberhaupt noch klappt, oder ob wir alles einen Tag nach hinten verschieben mĂŒssen. Wird schon gut gehen.
Ich dusche schnell, werfe mich in mein Bergkleid, packe mein IPad und laufe zur Bar / Eisdiele Kirchwirt.
Dort sitze ich gemĂŒtlich den ganzen Nachmittag, schreibe, lese, trinke Espresso und zwei âich bin in Italienâ-Prosecco. Esse einen Coppa Fragola. Das Eis schmeckt phantastisch. Es schallert Musik viel zu laut ĂŒber die Tische, das macht gar nichts. Italien! Jeder ist entspannt. Als der Mann seine baldige Ankunft ankĂŒndigt, ich zahlen will, sagt die Kellnerin â11,40 Euro bitteâ. Nein, nein, ich hatte 3 groĂe Sprudel, 2 Prosecco, einen riesigen Eisbecher mit frischen Erdbeeren, einen Toast und einen Espresso. Ich saĂ da ja auch 5 Stunden. âJa, ich weiĂ, 11,40 Euro bitte.â VerrĂŒckt. Aber richtig, hier kostet ja Prosecco nicht mehr als ein Glas Wasser đ
Um kurz vor 9 ist der Mann dann da! Er hat den letzten Zug ab Villach bekommen, der hat gewartet. Er wollte dann nur die halbe Stunde vom Bahnhof zu FuĂ gehen, um nach einem Tag sitzen und stehen in der Bahn sich die Beine ein wenig zu vertreten. Und er kennt jetzt auch schon die erste Teilstrecke von morgen, genau an diesem Bahnhof, der ein bisschen auĂerhalb liegt, mĂŒssen wir morgen vorbei. Wir essen gleich im Restaurant von unserem Hotel (Raibl) und das war eine so groĂartige Wahl. Die erste Pizza meiner Reise und eine der besten Pizzen seit langem, geteilt als Vorspeise, dann eine Fisch-Grillplatte und Gnocci mit Speck und Gorgonzola.
Es schmeckt alles so gut! Es ist wieder ziemlich kalt geworden, wir sitzen in einer Art Wintergarten und haben so trotzdem ein bisschen âdrauĂen-Feelingâ. Ab jetzt wieder gemeinsam, planmĂ€Ăig bis Triest. Wenn alles gut geht, das bisschen GlĂŒck dass es fĂŒr so eine Unternehmung immer braucht uns beiden hold ist.
Als wir ins Zimmer hochkommen ruft der Mann entsetzt: âwas ist DAS denn fĂŒr ein greisliger alter Stecken?â und deutet auf meinen goldenen Lebensretter-Stock. Oh, die Geschichte kennt er ja noch gar nicht. Sie wird erst morgen frĂŒh online âfreigeschaltetâ und sie zu erzĂ€hlen hab ich irgendwie âvergessen.â Damit er sich nicht noch mehr Sorgen macht, als er das eh schon immer macht. Ich erzĂ€hle die Kurzform. âUnd das Ding schleppst du jetzt WIE weit mit?â Ja das weiĂ ich noch nicht. Ich hatte ja gehofft, die Besitzerin zu finden, aber auf der HĂŒtte war damals niemand, der an dem Tag seinen Stock verloren hatte. Dann wollte ich ihn Bruno vermachen, mit dem Versprechen, er muss ihn wem geben, der halt auch grad in Berg-Not ist. Er hat zu schimpfen angefangen ob ich eine Ahnung hĂ€tte, wieviel Stecken hier jede Saison bei ihm liegenblieben?? Er könne im Herbst ein SportgeschĂ€ft aufmachen. Dann hab ich ihn halt mitgenommen, und jetzt ist da eine emotionale Bindung. Ich weiĂ auch nicht, was ich mit ihm machen soll, aber fĂŒr den Moment möchte er weiter mit. Bis ihn irgendwer anders eben braucht. Ich werde dann schon spĂŒren, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, ihn weiterzugeben. Vielleicht will er ja sogar nach Triest. Der Mann verdreht die Augen. Murmelt irgendwas von wegen âEtiketten aus Kleidung rausschneiden um Gewicht zu sparen, aber dann 3 Stecken rumtragenâŠâ
Na, sie werden sich schon noch anfreunden, die nÀchsten Tage. Bestimmt sogar.
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