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Tag 31 Salzburg – Triest: Ankommen




Freitag, 30.07.21


Jamiano – Triest, zwischen Sistiana und Prosecco (ja der Ort heißt wirklich so 😍) mit dem Bus. Unterkunft: NH Hotel Triest


HM rauf: 445, runter:  645 Gelaufene KM: 23,5   Reine Gehzeit ca. 6,5 Std


Und dann ist er plötzlich da: Der letzte Wandertag. Heute Mittag wollen wir das Meer erreichen, Abends dann auf dem Platz der Einheit in Triest stehen. Vorher das rote Band vom Rucksack abnehmen  und ans Ortsschild binden. Die Magie des letzten Tages. Konzentration und Leichtigkeit. Vorfreude aber auch ein bisschen Erleichterung.

Beim Frühstück im Garten sitzen lauter Urlauber um uns herum, die gleich ans Meer fahren. Einen Shuttle zu finden wäre wohl sehr einfach, aber nein. Die offizielle letzte Etappe ginge von Duino bis Triest in 7:30 Stunden und 25 km, von unserem Standort kämen nochmal 2 Stunden bis Duino drauf. Wir müssen irgendwie ein bisschen schummeln,  haben uns aber sehr genau überleg wo wir 3 Stunden „abzwacken“. Auf keinen Fall auf dem Weg NACH Duino! Weil da ist das Meer und ans Wasser muss man schon zu Fuß! Der Besitzer erzählt seiner Tochter begeistert, wir würden EINEN MONAT laufen! „So viel Urlaub haben Sie??“ fragt er zum wiederholten Male. Heute stellt er immer wieder dieselben Fragen ;-))



Ich ziehe mir Miras Herzchen-Sneaker-Socken an – Magie für die Füße. Es kann nichts schiefgehen! Beim Ausschecken stellen wir fest, dass der Vater seiner Tochter vergessen hat zu sagen, dass er uns gestern einen viel höheren Preis genannt hat – wir zahlen den regulären. Der Sockenzauber wirkt bereits. Es wird ein guter Tag.


Und dann packen wir unsere Rucksäcke und laufen los, zum letzten Mal auf dieser Reise. Es gibt ein bisschen Schatten, manchmal, wir laufen durch Medeazza durch wo wir gestern eigentlich hin wollten, sehen eine dieser Buschenschenken – da ein Glas Wein zu trinken sieht schon auch gemütlich aus.  Und dann kann man schon sehr bald das Meer wieder sehen…


Gegen  11 Uhr ist Duino erreicht! Auf dem Weg zum Meer laufen wir an der „Villa Mira“ vorbei – ich schicke Mira ein Foto – gleich danach an der Villa Gruber. Ich schicke Herrn Gruber ein Foto. Der Mann mault, warum eigentlich alle meine Bekannten hier Villen haben, WIR hingegen seit 2 Tagen daran scheitern 2 Betten vor Triest zu finden??

Und dann ist es plötzlich da. Das Meer.



Es sei ein bisschen verboten hier zu Baden, schreibt der Rother, aber das macht es natürlich noch viel interessanter. Und außerdem baden hier alle… Das Wasser ist so herrlich und die Punkte für den „besseren“ Ort um  am Meer anzukommen und in selbiges zu springen gehen eindeutig an Salzburg – Triest. Z.B. weil man genau das  hier tun kann: Reinspringen. Es nicht so voll ist wie in Jesolo im August. Gut, dass wir gestern den ganzen Nachmittag schwimmen geübt haben, ich bleibe ewig im Wasser! DAS ist jetzt wirklich der tollste Pool unserer Reise. Eine Frau schwimmt auf mich zu, sie saß beim Frühstück neben uns. Ob wir jetzt echt bis hierher gelaufen seien?? Den ganzen Weg vom Hotel? So in etwa. Bis hierher. Von Salzburg aus. Der goldene Stock ist übrigens immer noch dabei. Irgendwie gab es jetzt die letzten Tage keine Wanderer in Bergnot mehr, die ihn hätten dringend gebrauchen können. Zwei Mozartkugeln sind auch noch im Rucksack. Ich trage alles bis Triest. Gleich nach dem Baden.





Nach einem ausgiebigen Bade müssen dann aber Miras Socken einem anderen Ritual weichen: Die letzte Etappe geht man barfuß oder in FlipFlops. Immer. Barfuß ist auf diesen Wegen leider keine Option, wir laufen jetzt zwar immer am Meer entlang, aber nicht am Strand sondern auf einer Steilküste. Und auch auf Asphalt. FlipFlops gehen hingegen hervorragend! Damit wandern wir jetzt aber erstmal zu dem kleinen süßen Fischrestaurant am Meer. Ein Glas Prosecco ist jetzt überfällig. Und vielleicht ein kleines Mittagessen?



Wir bekommen einen Platz auf der Terrasse und bestellen das übliche, eine große Flasche Wasser und was für den Durst mit Geschmack, der Mann ein Bier und ich ein Lemon Soda. Und da wir die Meerankunft ja feiern müssen, zwei Glas Prosecco. „Eine Flasche Wasser, ein Bier, ein Lemon Soda und zwei Prosecco, bitte.“ sage ich zum Chef des Hauses. Er guckt uns ungläubig an:“Wie viele sind Sie??? Sie sind doch nur zwei?“ Dann ist er schon weg. Sonst hätte ich ihm erklärt, dass man als Weitwanderer IMMER bei jeder Gelegenheit eine Flasche Wasser bestellen muss, v.a. Wenn man so Wasser-trage-faul ist wie ich, und ja, was für den Durst halt. Und – wie heute bei besonderen Anlässen – ein Glas Prosecco. Das ist völlig normal.


Wir spitzeln in die Speisekarte – nur mal so. Ein sehr alter, sehr umfangreicher italienischer Mann beugt sich beim Vorbeigehen mit mir über meine Karte und empfiehlt die Fischsuppe. Und danach die schwarzen Pasta. Ich mag ja beides gar nicht, aber er ist so nett, also empfehle ich dem Mann (sehr  nachdrücklich) die Fischsuppe zu bestellen. Bei mir gibt es Gnocchi mit Garnelen. Wir sitzen am Meer, trinken, essen, es ist der Moment wo der innere Weitwanderer langsam von der Bühne abtritt und der „Urlauber“  sich in Position bringt. Das hier ist so  richtig „Urlaub“ und wir sitzen ewig dort. Wir sind ans Meer gelaufen. Das ist doch einfach „jedes mal“ wieder so so cool.


Man könnte hier jetzt gut in den Bus einsteigen und ein Stück fahren, aber das geht auch nicht! Die nächste Stunde bis Sistiana wandeln wir jetzt nämlich auf Rilkes Spuren! Nach einen kurzen Spaziergang kommt das Castello Duino und von da ist Herr Rilke genau auf dieser Steilküste auch immer spaziert! Ich vermute, dass ich mir genau dort meine fast 3 wöchige Schreibblockade eingefangen habe, aufgrund derer ihr jetzt solange auf den letzten Tag warten musstet.  Auf so großen Spuren zu wandeln macht einen sehr klein… Es war genau hier, wo Herr Rilke seine bis dato doch eher depressive, dunklere  Sicht auf die Welt in mehr Lebensfreude und eine lebensbejahende Grundhaltung eingetauscht  hat. Das könne man dann wohl in den Duiner Elegien nachlesen, die hier entstanden sind! Und – mein Highlight – für die er dann noch 10 Jahre gebraucht hat um sie „druckreif“ zu bekommen. Was sind da schon läppische 3 Wochen die ihr jetzt warten musstet?? Gar nix, richtig! Vielleicht sollte man diese Etappe nicht Rilke-Weg sondern Schreibblockadenweg nennen. Nur ein Vorschlag.



Einen Anstieg der Lebensfreude kann ich hingegen nicht feststellen, was daran liegen mag, dass diese nach 4 Wochen in den Bergen bereits am Anschlag ist. Es ist wunderschön, das glitzernde Meer zu unserer rechten und bald taucht die Bucht von Sistiana auf, in der der Mann den zweiten Badestop eingeplant hat. Es ist nämlich schon doch wieder sehr heiß. Das hat Herr Rilke vielleicht ein bisschen schlauer gemacht, der lustwandelte hier von Oktober bis Februar und sah daher vermutlich dabei (noch) besser aus als wir 😉



Es gibt ein großes Strandbad, das nicht mal Eintritt kostet. Ein wütend schimpfender Österreicher kommt gerade mit seinem Hund heraus, da letzterer dort wohl nicht erlaubt ist, wie die Schilder zeigen. Es ist ein richtiger Ferienstrand und auch hier baden wir ausgiebig, lassen uns von der Sonne trocknen, starren aufs Wasser und gehen erst am späten Nachmittag bergauf in den kleinen Ort Sistiana zur Bushaltestelle. Man könnte in Sistiana auch auf ein Boot steigen und sich direkt zum großen Platz fahren lasen, ähnlich wie nach Venedig. (Die Fahrt ist echt schön, wir haben das von Triest aus ein paar Tage später nochmal gemacht) Aber wir wollen laufend in Triest ankommen, daher steigen wir jetzt erstmal in den Bus, der uns in einer halben Stunde nach Prosecco bringt, das spektakulärer klingt als es dann aussieht. Und jetzt stehen wir wirklich auf den allerletzten Kilometern, die letzten 3 Stunden brechen an. Es ist Freitag, „ich komme immer Freitags an“, erkläre ich dem Mann. Mira ist noch da, zieht aber morgen weiter. Somit werden wir uns noch sehen! Das mit dem einen Tag früher da sein fühlt sich gerade sehr richtig an. Ich bin bereit. Bereit zum Ankommen.


Das Meer weiter zu unserer rechten taucht bald Triest in der Ferne ins Sichtfeld. Da hin.



Wir wandern nicht, wir schlendern, gerade so als würden wir vom Strand zurück ins Hotel laufen. Das halt diesmal 3 Stunden entfernt liegt… Von Mira hab ich gelernt, wie wichtig es ist, entspannt am Ziel anzukommen. Ruhig mal kurz vor der Hütte nochmal Pause machen, den Tag Revue passieren lassen, den Puls runterbekommen um dann nicht abgehetzt sondern gechillt über die Türschwelle zu treten. Auch für den heutigen Tag hatte sie per SMS einen Top-Tip bereit: Ein Brunnen kurz vor DEM wichtigen Ortsschild. Da könne man sich nochmal frisch machen vor dem großen Ortsschild-Bändchen-Anhängen-Fotoshooting. Genau das tun wir jetzt. Also ich. Der Mann findet es irgendwie nicht so wichtig, vor einem Ortsschild möglichst gut auszusehen…



Es ist dann auch ein bisschen…. Unspektakulär. Ein Ortsschild eben. Mit Blick auf Triest, das uns zu Füßen zu liegen scheint. Es hängen viele alte rote Bändchen dran. Das alte Paar Bergsocken, von dem Christof vor Wochen schon in der Threema Gruppe gebeten hatte, ob es der nächste der ankommt bitte abhängen könne, hängt immer noch. ICH war wohl „die nächste“. Ich hänge mein rotes Bändchen ans Schild, nehme die Socken ab, werfe sie in die nächste Tonne. Gut. Alle Aufträge erledigt. Foto. Und weiter.




Von hier zieht es sich fast noch eine Stunde und es lohnt sich hier tatsächlich nochmal, den GPS Tracks zu folgen. Einfach, damit man keinen Herzinfarkt bekommt oder überfahren wird. So viele Autos habe ich seit Wochen nicht gesehen, die Tracks versuchen ein bisschen ruhigere Seitenstraßen entlang zu gehen. Habsburger Prachtbauten begleiten unseren Weg, werden mit zunehmender Innenstadtnähe immer prächtiger. Es könnte auch Wien sein. Wien mit gutem Wetter und südländischem Flair. Der Mann wird später sagen, er findet Triest genau deswegen fast noch schöner als Venedig. Ich habe mir ja vorab schon die Meinung gebildet, dass Triest sicher nicht Venedig ist. An dieser halte ich vorab mal noch ein bisschen fest.



Um 19:10 Uhr erreichen wir die Piazza dell‘Unita im Herzen von Triest, einer der größten und schönsten Plätze in Europa. Er öffnet sich direkt zum Meer hin. Und über diesem schwebt in diesem Moment dasselbe goldene Licht, das mich letztes Jahr schon auf dem Weg nach Venedig in den letzten Minuten begleitet hat. Goldenes Weitwanderer-Ankommens-Himmelslicht. Das ist so so so schön. Ankommen. Ziel erreicht. Es wieder mal geschafft zu haben. Wissen, es dauert jetzt auch wieder ein paar Tage, bis man das ganz verstanden hat.



Und dann passieren ein paar Dinge, die Triest in meiner Beliebtheitsskala doch schnell ein paar Punkte nach oben befördern. Bei einem Fotoshooting unter vollem Körpereinsatz, in dem ich wahlweise sitzend, kniend, liegend meine Glücksbringer der Reise fotografiere, von der Sir Tobi Schnitzelkarte, über zwei übrige Mozartkugeln, über weiße Flipflops, Herzchen-Socken, natürlich den goldenen Stock und meinen Rucksack, den treuen Gefährten, stelle ich fest: Das scheint hier erlaubt zu sein, es taucht keine Polizei auf, die mich ermahnt, die Stadt zu respektieren.




Als wir uns beseelt und tief zufrieden in eine Bar direkt am Platz setzen zahlen wir nach 2 Stunden: 20 Euro. Wie ich alleine letztes Jahr. Mit dem einzigen Unterschied: Statt eines kleinen Gläschen Prosecco hatten wir 4 Spritz und eine große Flasche Wasser. Mitten an einem der tollsten Plätze in Europa!



Nun machen wir uns doch langsam auf, das Hotel zu suchen. Und genau hier der dramaturgische Höhepunkt. Kurz vor Betreten des Hotels, genau hier, kann ich plötzlich nicht mehr laufen. Ich scheine alle mir zugedachten Schritte für dieses Jahr (oder dieses Leben???) aufgebraucht zu haben. Ende Gelände. Ich stürze sehr kunstvoll auf der vorletzten Treppenstufe. Ungefähr so elegant wie damals Edmund Stoiber, als er kurz dachte, er sei Kanzler geworden. Der Mann beschimpft reflexartig den goldenen Stock, der sei schuld, er habe es genau gesehen, ich sei über diesen gefallen. Aber das stimmt gar nicht. Irgendwie war mein großer Zeh schon auf der obersten Stufe, der Rest meines Körpers aber noch nicht. Obwohl ich doch inzwischen leicht wie eine Feder sein müsste – scheins immer noch zu schwer für einen einzelnen Zeh. Er ist dabei irgendwie … gebrochen. Ich freue mich total! Wirklich. Einerseits natürlich, weil die Geschichte so gut ist 🙂 zweitens, und das ist tatsächlich das stärkste Gefühl, das mich in diesem Moment durchströmt, Dankbarkeit. Weil genau sowas an jedem Tag hätte passieren können. Weil es neben ein bisschen Planung und viel Training einfach auch so viel Glück braucht, um so eine riesige Tour gesund und glücklich abschließen zu können. Glück, dass schon wieder an meiner Seite war, an jedem einzelnen Tag. Ich fühle mich gesegnet und so reich beschenkt. Und eine phantastische Ausrede, mich die nächsten Tage GAR nicht mehr zu bewegen und nur eisessend und spritztrinkend in Cafés zu sitzen, die habe ich jetzt auch. Und dann geht es ja noch ans Meer, weiter nach Kroatien. Da werde ich auch nur im Liegestuhl liegen, schauen und lesen. Der Zeh wird mich erinnern, von diesem großartigen Plan ja nicht abzuweichen….Keinen Milimeter.


Das Hotel ist gut gelegen und völlig ok, ein NH Hotel halt. Bis auf die gefährliche Treppe gänzlich unspektakulär. Mira ist im Hotel Columbia gleich um die Ecke, da war aber nichts mehr frei. Um 22 Uhr machen wir uns zum Abendessen auf, Mira schreibt sie ist seit Ankunft soooo unglaublich müde, kommt dann aber doch noch nach. Es ist so perfekt mit genau diesen beiden Menschen jetzt an einem Freitag in Triest draußen zu sitzen und leise zu feiern. Müde sind wir alle, die Tour hat schon auch an den Kräften gezehrt. „Ich verstehe es nur so ganz langsam, was wir da geleistet haben.“ sagt sie. „Das ist so verrückt.“


“Hast du deine Antwort gefunden?“ frage ich sie beim zweiten Glas Wein. „Welche Antwort??“ fragt sie erstaunt. Ich muss lachen. So ging es mir letztes Jahr. Genau das passiert beim Weitwandern: Man vergisst die Frage. Um dann kurz drauf festzustellen, dass sich unbewusst doch alles sortiert und gefügt hat. Manchmal ganz anders, als man dachte. Und das man dafür gar nicht so viel tun muss: Nur 500 km laufen, 25.000 HM  überwinden, der Freude folgen, still werden. Die Weite der Berge in sich aufnehmen. Und aufs Meer schauen.. Das ist auch ganz wichtig.




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