Donnerstag, 01.07.21
Zeppezauerhaus – Störhaus
525 hm rauf, 300 runter, 7,5 km
Reine Gehzeit ca. 4,5 h (inkl. verlaufen)
Unterkunft Störhaus
Die Nacht war eisigkalt. So so so kalt. Eine mit-Mütze-schlaf-Nacht. Und mit allem was man sonst noch dabei hat. Trotzdem ging es gar nicht, um halb 4 beschließe ich meinen Daunen-Schlafsack zu packen und unten in der warmen Stube auf der Bierbank zu schlafen. Da frühstücken zwar um halb 7 die ersten, aber das wären ja immerhin noch 3 Stunden. Auf dem Weg dahin stolpere ich über einen Stuhl, auf den eine gute Fee Decken aufgestapelt hat. Ich bin überzeugt das ist eine Fata Morgana, aber nehme mir trotzdem eine. Es wird wärmer! Ich gewinne 2 Stunden Schlaf bis die Kälte einen neuen Weg durch irgendwelche Ritzen gefunden hat. Ich tappe raus, hole eine zweite Decke, eine Doppelbett-Riesen-Decke, die ich jetzt doppelt gefaltet auf mich in all meinen Klamotten, den Hüttenschlafsack, den Daunenschlafsack und die erste Decke lege. Ich schlafe bis halb 9, verpasse das Frühstück. Hüttenfrühstück verpassen ist eigentlich immer eine gute Idee, weil meist gibt es dann nur Kuchen als Alternative.. Hehe….🙂 Ich bekomme einen Apfelstrudel mit Sahne statt des obligatorischen Marmeladenbrotes. Marie Antoinette lässt grüßen („und wenn das Volk kein Brot hat, dann soll es eben Kuchen essen…“)
„Ja is jetzt echt scho Juli!“ ruft die Hüttenwirtin mit einem Blick auf den Kalender. Mir fällt ein, dass gestern vor einem Jahr mein letzter Arbeitstag war. EIN JAHR IST DAS SCHON HER?? Unfassbar was seitdem alles passiert ist. Ich habe einmal die Alpen überquert und eine ZWEITE Tour bereits gestartet. Studiere Positive Psychologie. Bin jetzt ganz selbstständig. Konnte mehr Menschen dabei unterstützen „Ihr Ding“ zu finden, beruflich wieder glücklicher UND auch erfolgreicher zu sein. Letzteres lässt sich immer leicht messen: Fast 140.000 Euro mehr Gehalt haben meine Schützlinge erreicht, 6 meiner Klientinnen haben im ersten Halbjahr einen neuen Job begonnen, die Summe ist recht gleichverteilt über alle. Plus das, worum es mir eigentlich geht, was noch viel wichtiger ist: Dass Menschen zufriedener und glücklicher sind mit dem was sie tun. Ihre Stärken wirklich im richtigen Umfeld platzieren können, klarer sind was sie positiv auszeichnet, welchen Beitrag sie leisten können und wollen. Habe Anfragen für Vorträge, darauf freu ich mich auch. Hab 15 Kilo weniger, etwas was ich nie dauerhaft geschafft hatte, trotz vieler Versuche. Darf für 10 so wunderschöne und besondere Menschen Mentorin im Studium sein und mit ihnen gemeinsam wachsen. Das war schon alles nicht so un-sinnvoll die letzten Monate. Und es stehen ein paar so schöne Projekte an im 2. HJ. Mich stresst dieses „Was? Schon Juli??“ daher überhaupt nicht. Das war auch mal anders, ich kenne das, wenn die Zeit so rast und man sich fragt wo sie hin ist. Aber irgendwie dreht das Rad langsamer seit einem Jahr und trotzdem (oder gerade deswegen??) schaffe ich so vieles, ist für so viel Neues und Buntes Platz.
Die anderen 3 Gäste von gestern Abend sind schon lange los, der Therapeut wollte ja noch bis Berchtesgaden, das Geschwisterpaar war unschlüssig wegen des Wetter wohin. Trotzdem ist Full House. Hier findet grad irgendeine Gemeinderatsitzung oder sowas statt? Der mit dem blauen Hemd sieht aus wie der Bürgermeister. Es werden eifrig Baupläne und Umbaumaßnahmen diskutiert. Ich fühle mich in eine Folge der Piefke-Saga versetzt. Ich warte auf die Stelle, wo der eine dem andern ein Baugrundstück samt Hotelbau-Genehmigung anbietet, im Gegenzug dafür aber die Ehelichung seiner Tochter durch den Bürgermeister-Sohn erwartet. Aber die Stelle kommt nicht, vielleicht hab ich sie auch schon verpasst mit meiner Langschläferei 🙂 Die häufigste Wortmeldung lautet „a geh scheiß di oh!“. (Der Mann erklärt mir später, hieran könne man das Salzburger Land vom Hauptstadt-Wiener unterscheiden, die würden hier sagen „Gö scheißn!“ Man lernt so viel beim Reisen…) Irgendwo darf man keine Bäume fällen, weil sich da häufig Liebespaare verlustieren und die könne sonst jeder von irgendeiner Terrasse aus sehen. Das ist ja mal eine tolle Gemeinde, wo auf Schäferstündchen in freier Natur derart Rücksicht genommen wird. Da will ich auch wohnen!! Es findet sich leider nicht der richtige Moment nach einem Baugrundstück für MICH zu fragen. Aber ich habe auch keine Söhne und Töchter die ich feilbieten könnte… Und ich muss jetzt auch los, Richtung Triest.
Als ich mich zusammenpacke und mein Lager räume, macht die gute Fee gerade Betten. Wir ratschen ein bisschen. Sie arbeitet hier im Sommer, im Winter betreut sie Sterbende. Sie schaut immer, dass alle tot sind, bevor der Sommer losgeht (???) aber jetzt muss sie morgen wieder runter ins Tal, eine wollte noch nicht gehen, für die will sie da sein. Ich spüre wie wichtig ihr das ist. Wie sie selbst damit umgeht, will ich wissen, dass sie dabei so fröhlich und ausgeglichen bleibt? Sie guckt mich verwundert an, meint, nichts hat ihr je so viel Ruhe gegeben wie diese Arbeit. Weil sie jedes mal wieder spürt „und ich lebe noch, mach was draus“, gleichzeitig aber auch weiß, irgendwann trifft es jeden. Das sei so gerecht. Das man überhaupt gar nichts planen kann. Ihr ganzes Zeug passt inzwischen in den Kofferraum ihres Autos. Sie plant nichts mehr, GAR nichts mehr. Ein sehr starker Kontrast zu vielen, die mit mir über ihre Karriere sprechen und klare 10 Jahrespläne im Kopf haben. Die sind das andere Extrem. Ich versuche ja irgendwie die Mitte zu treffen. Schon so eine Idee zu haben wo man hin will und das auch zu verfolgen. München – Venedig war da letztes Jahr so ein „LehrMeister“ für mich. Ein großes Ziel, eine Richtung haben, aber auf dem Weg dahin offen bleiben was einem sonst so vor die Füße fällt (manchmal steht da plötzlich eine Prosecco-Farm mit Pool! Da wäre es ziemlich dumm, seine Pläne nicht spontan zu ändern…) Den Weg vor allem genießen, der Freude folgen. Vieles kann man nicht planen, z.B. das mit dem Studium jetzt. Das hätte in keinem 10-Jahresplan stehen können, einfach weil es das bis eben nicht gab. Und jetzt ist es eines meiner Jahreshighlights bislang. Ganz ungeplant. Dass ich aber Selbstständig sein wollte um genau für solche Projekte Luft und Zeit haben, es künftig NICHT mit einem Arbeitgeber absprechen zu müssen, das wusste ich schon. Das war mein Plan. Auch die Möglichkeit zu haben, 2-3 Monate im Jahr zu reisen, unterwegs zu sein. Also, ich plädiere in dieser Frage wohl für die aristotelische goldene Mitte.
Die gute Fee endet mit den Worten „Und noch nie hat jemand von denen zu mir gesagt: Hätt ich bloß mehr geputzt oder gearbeitet. Noch NIE!“ Sie empfiehlt mir noch das Buch „Achtsam morden“ das soll ich unbedingt lesen. Dann lässt sie mich leicht irritiert zurück und geht ins nächste Zimmer. Aber ich packe es auf meine Lese-Liste.
Ich mache mich fertig, noch ein paar Bilder draußen und starte so gegen 10:45 Uhr hoch zum Geiereck, wo auch die Seilbahn ankommt. Ja es hätte auch einen leichten Weg hier hoch gegeben…
Draußen ist es – völlig überraschend – auch kalt. Aber trocken, und das bleibt es auch den ganzen Tag. Die Regenjacke bleibt trotzdem an, als Windschutz. Die Wege waren von der Nacht noch ziemlich nass, da ging es ein bisschen langsamer wenn man dann über die rutschigen Felsen klettert. Am Salzburger Hochthron angekommen ist es windig mit sehr wenig Sicht.
Ich esse eine Mozartkugel, die mir meine Schwiegermama gestern noch überreicht hat. In einem Blog haben wir welche gesehen, die 2 Mozartkugeln nach Triest getragen haben und dort mit ihren Bergschuhen zusammen am Marktplatz fotografiert. Ich glaube, das mache ich jetzt auch, hab ja ne ganze Tüte davon… Jetzt mag manch einer sagen, es sei semi-intelligent Schokolade über die Berge zu tragen, aber es ist so kalt heute bin ich davon überzeugt, ich könnte auch ein Steckerleis unbeschadet transportieren. Die Mozartkugel ist übrigens köstlich, irgendso eine weiße Sommer-Edition.
So gestärkt geht es weiter, teilweise schon steil hoch hoch, dann wieder runter, kurz vor der Mittagsscharte habe ich wohl die Grenze überquert. Jetzt bin ich wieder in Deutschland. Dort verlaufe ich mich kurz ein bisschen, aber andere haben grad erzählt, ihnen ging es genau an der Stelle ähnlich heute. Man hat immer ein bisschen Blick in wenigstens eine Richtung, es ist nicht komplett nebelig.
Der Weg schlängelt sich durch Latschenkiefern und ist trotz der Nässe ganz gut zu gehen. Ich bin aber erleichtert, als ich das Schild „Störhaus 1 Std.“ sehe. Kurz drauf sieht man es auch schon und es wirkt deutlich näher. Ich lege einen Zahn zu.
Eine Viertelstunde vorher könnte man zum Berchtesgadener Hochthron abzweigen, dem Gipfel hier mit phantastischem Blick. Aber es ist ja doch eher wolkig? Und mich zieht es so sehr in ein warme Hütte. Aber es sind wirklich nur 5 Minuten, also erklimme ich diesen Gipfel heute auch noch.
Um kurz nach 3 komme ich am Störhaus an.
Ich treffe gleich die beiden Geschwister vom Vortag, die sind auch hier. Ich bekomme ein winziges süßes Zimmer für mich alleine, es liegen 2 Decken drin und es wirkt ein BISSCHEN wärmer als gestern. Sonst sind hier nur noch 3 ältere Herren aus Köln. Also wieder sehr wenig los, das schlechte Wetter hat viele stornieren lassen.
Halbe Etappe, wenig Höhenmeter, ich hatte mich mental auf einen Spaziergang eingestellt.
Geirrt! Das war heute ECHT anstrengend. Der Name „Untersberg-Plateu“ suggeriert etwas … flaches? Das mit der Kondition wird noch ein Thema werden, ich spüre es deutlich. Warum bin immer ich so unfit?? Ich bin so froh die Etappe halbiert zu haben, frage mich aber auch, wie man jetzt noch 15 km weiter hätte gehen sollen. Vielleicht sind es auch die 2 Nächte mit kaum Schlaf, die mir langsam ein bisschen zu schaffen machen.
Ich bin so hungrig und kann nicht bis zur Abendkarte warten, um halb 5 bestelle ich von der „Tagsüber-Brotzeitkarte“ eine Kaspressknödelsuppe und danach Kaskrainer mit Sauerkraut. Ein Glas Rotwein gibt es ausnahmsweise auch, zusammen mit den vielen Decken hoffe ich auf eine tiefschlafende Nacht…
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